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■ QuerspalteDie alte Scheiße

Franz Heubl war's, der einst auf einem CSU-Parteitag seinem großen Vorsitzenden Strauß zurief: „Franz Josef, gib uns Richtung, Weisung, Zukunft!“ Der Wegweiser ließ sich nicht lange bitten und erklärte in einem fünfeinhalbstündigen Grundsatzreferat den Zustand der modernen Welt aus dem Geist des Peloponnesischen Krieges. Das Volk drunten im Saal hörte es mit Staunen und applaudierte noch lange.

Sie sind selten geworden, diese Momente stillen Glücks, in denen Ober- und Untertan aufs innigste zusammenklingen. Vielleicht fehlt es auch an Persönlichkeiten, die imstande wären, „die Kraft eines Volkes zu bündeln“ (M. Greffrath).

Und doch ereignete sich am Samstag eine solche Sternstunde. Helmut Kohl empfing den Korrespondenten der Frankfurter Allgemeinen und sprach mit ihm die Weltlage durch. Vor der FAZ kennt Kohl kein Tabu: Von der Gesundheits-, Steuer- und Rentenreform über eine „schlagkräftige Polizeiorganisation“ bis zur Frauenquote („war ich aufs intensivste persönlich beteiligt“) wird alles abgehakt, was Kohl schon immer mal sagen wollte.

Kohl schwadroniert, die FAZ schreibt mit: Nein, er ist „kein Denkmal, das über aller Kritik stehe“, und ja, er „will einen Beitrag dazu leisten“. Doch, doch, vertraut er der dreiviertelamtlichen FAZ weltexklusiv an, „er sei fest entschlossen, seine Pflicht als Regierungschef und Parteivorsitzender weiterhin zu erfüllen“. Dankbar nickt die FAZ. Die Francos kommen, die Honeckers gehen, das „System Kohl“ (Ch. Wulff) bleibt ewig bestehen. Der Abend neigte sich, „bei einer Weinschorle in seinem Amtszimmer“ kommt man sich näher, und Kohl wird richtig besinnlich: „Wenn ich zum Fenster hinausblicke, sehe ich, der Frühling ist im Kommen.“

Der Frühling, die Weinschorle und Helmut Kohl: In dieser Trias der Werte ist die Kraft eines Volkes gebündelt. „Die ganze alte Scheiße“ (K. Marx), und die FAZ hat sie auch noch gedruckt. Willi Winkler

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