■ Querspalte: Warum eigentlich Zauchtl?
Die Jahrhundertflut an der Oder schwemmte nicht nur das Wasser über die Ufer, es brachte auch Ortsnamen in der tschechisch-mährischen und polnisch- schlesischen Provinz ans Tageslicht, die dem deutschen Publikum ziemlich unbekannt sein dürften. Prerau, Neutitschen, Zauchtl, Mährisch Trübau, Glogau.
Es handelte sich nicht etwa um Bulletins der sudetendeutschen und schlesischen Landsmannschaften. Es waren Nachrichten, Berichte und Reportagen über die Naturkatastrophe. Ein Beispiel: Zu den ersten Todesopfern der Flut in Tschechien gehörten Fahrgäste eines Zuges, der wegen unterspülter Bahnanlagen entgleist war. Das Unglück geschah, so erfuhr man in einigen deutschen Medien, bei Zauchtl. Bitte wo? Keine leichte Aufgabe für deutsche Katastrophentouristen, dies herauszufinden. In ihrem Autoatlas hätten sie den Ort vergeblich gesucht. Denn auch die deutschen Autokarten bevorzugen die tschechischen Ortsnamen. Im Autoatlas ist Zauchtl unter seinem heutigen Namen Suchdol nad Odrou zu finden. Zufälligerweise liegt Suchdol nad Odrou, früher auch Zauchtl genannt, unweit des Städtchens, in dem ich die ersten 17 Jahre meines Lebens verbrachte.
Wie also geriet Zauchtl in die deutschen Medien? Schließlich ist Zauchtl nicht Brünn, Prag oder Breslau, deren deutsche Namen wegen der beachtlichen Größe dieser Städte zum deutschen Sprachschatz gehören. Zauchtl ist nur ein winziger Flecken in Nordmähren. Um aus Suchdol nad Odrou Zauchtl zu machen, haben eifrige Redakteure einige Mühe und Recherche aufgebracht. Sie haben, so scheint's, fleißig in Handbüchern deutscher Ortsnamen des verlorenen Ostens geblättert.
Was die deutschen Namen Zauchtl, Neutitschen, Prerau etc. angeht, so mögen sie von mir aus gern und für alle Ewigkeit bewahrt bleiben. Vor allem für jene, denen diese Orte wirklich etwas bedeuten. Doch was soll man von beflissenen Redakteuren halten, die zu Handbüchern des verlorenen Ostens greifen? Richard Szklorz
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