■ Querspalte: Lauter Einzelfälle
Was sich bereits im Herbst abzeichnete, scheint sich im neuen Jahr zum Trend zu verdichten: Das Wort „Einzelfall“ hat gute Karten, zum „Wort des Jahres 1998“ zu werden. Jeder Politiker, der in Erklärungsnotstand zu geraten droht, klammert sich an den Einzelfall wie an den rettenden Strohhalm. So sprach auch der Magdeburger Bürgermeister angesichts des lebensgefährlichen Anschlags auf einen jungen Punk von „Einzelfällen“. Klar, denn laut Verfassungsschutzbericht sind in Magdeburg ja nur 200 einzelne gewaltbereite Rechtsextreme unterwegs.
Die Konjunktur des Einzelfalls verdankt sich dem guten Beispiel der Hardthöhe, die seit Wochen nur noch Einzelfälle und keine Rechtsradikalen mehr kennt. Inzwischen hat Claire Marienfeld, die Wehrbeauftragte des Bundestags, Bilanz gezogen: 1997 wurden 171 rechtsradikale Einzelfälle registriert. Ob es nun früher weniger Einzelfälle gegeben hat, oder ob die Zahl durch die erhöhte Wachsamkeit so sprunghaft angestiegen ist: Die Einzelfälle haben sich im Vergleich zu 1996 mehr als verdoppelt.
Obwohl das Wort offenbar so tröstlich und beruhigend wirkt, Innenminister Manfred Kanther kommt es einfach nicht über die Lippen. Angesichts der rund 1.000 an der italienischen Küste angelandeten kurdischen Flüchtlinge will ihm das Wort Einzelfall partout nicht einfallen. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht vor kurzem den entscheidenden Hinweis gegeben und entschieden, daß Kurden im Südosten der Türkei keiner Gruppenverfolgung ausgesetzt sind. Deshalb müssen Asylanträge im Einzelfall entschieden werden. Wenn also eine Gruppe nicht verfolgt wird, warum sollte sie sich dann kollektiv zur Flucht entscheiden? Und weil nicht sein kann, was nicht sein darf, warum hier auf einmal Ströme herbeireden, wo doch lauter Einzelfälle ins Boot wollen? Am Ende droht der „Einzelfall“ im Plural noch durch „Tendenz“, „Welle“ oder gar „Flut“ aus dem Rennen geschlagen zu werden. Und wollen wir das denn? Christine Apel
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