■ Querspalte: Danke, "Bild"-Zeitung!
Nun kann man sich ja einiges an Gründen denken, warum jemand nicht in Deutschland leben will, und als junge Russin noch dazu. Den Krieg oder die Skins oder daß wir eine Nation von Joghurtbecherdeckelsammlern sind. Immer wenn meine Moskauer Freundin Julia mir klarmachen will, warum sie es hier nienienie aushalten könnte, beschreibt sie die Deutschen mit drei Worten: „Sauber und gesund.“ Deutschland, das Meister-Proper-Land.
Bisher habe ich da immer gegenhalten können. So gepflegt sind wir doch gar nicht, rief ich dann, Deutschland, das ist doch auch Guildo Horn und die Löcher in meinen Unterhosen und die Grünen im Bundestag. Na ja, das mit den Grünen rief ich in letzter Zeit immer etwas leiser. War ja auch keine reine Freude mehr, das Grünwählen. Seit sich Menschen in der SPD Lore Maria Peschel-Gutzeit nennen dürfen (Name nicht geändert), weiß man kaum noch, woran man grüne Politik erkennen soll. Immer häufiger wirken Rote und Grüne, als probten sie für einen Auftritt in „Zwillinge – nach der Geburt getrennt“. Wozu da noch grün wählen?
Die Antwort steht bei Bild auf Seite 1: „Benzin 5 DM, Tempo 100, Hasch frei, Nato auflösen“. Vier prägnante Forderungen – eine echte Serviceleistung für Grünsympathisanten, die ihre Partei schon im Bauch des Bösen Gerhard wähnten. Warum die Zeitung darüber die Schlagzeile „Grüner Alptraum“ setzt? Das ist das Guildo-Horn-Prinzip: So wie Bild hinter den Kulissen verabredet hatte, Horns Orthopädische Strümpfe durch Negativpropaganda zum Kult zu machen, startet jetzt die verdeckte Kampagne „Bild rettet die Schmuddelkinder“. Demnächst also auf Seite 1: „Jürgen Trittins Kreuzzug der Zärtlichkeit: Muttis Nußecken geben ihm Stärkung“. Gunda Röstel vor der Elefantenrunde: „Ich wasche mir vor meinem Auftritt zweimal die Haare mit ,Planschi‘.“ Und: „Joschka – wohnt in ihm die Seele von Roy Black?“ In Deutschland reicht das bekanntlich für 62 Prozent. Patrik Schwarz
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