■ Querspalte: Alle (Wahl-)Jahre wieder
Haben Sie schon gesehen? „Er ist da“. Er „gewinnt an Kraft“. Spüren Sie, wie er „wächst“? Wie da alles „zurückkehrt“, was zuvor entfleucht war? Keiner weiß, woher er kommt, wohin er geht, und ehrlich gesagt hat noch keiner gesehen, wie sein blaues Band durch die Lüfte flattert. Aber Hauptsache Er ist da, Der Aufschwung in Deutschland. Sagt „Die Bundesregierung“. Das zu behaupten, kostet. Steuergelder für große Zeitungsanzeigen, damit auch niemand die frohe Botschaft überliest. Die Leute sind ja so ungläubig. Dabei kommt der Aufschwung doch alle vier Jahre, mit schöner Wahlgesetzmäßigkeit, mal im Winter, mal im Frühjahr, immer ein halbes Jahr vor dem Datum, auf das alle starren.
Zugegeben, semantisch läßt der Text Fragen offen. „Der Aufschwung in Deutschland gewinnt an Kraft.“ Naja. Wieso gewinnt ein Ding an Kraft, zu dem man, wie man aus dem Turnunterricht weiß, Kraft braucht. Auch bei „Aufschwung sichert Arbeit“ dachte man, daß das umgekehrt funktioniert. Überzeugend hingegen wirkt: „Viele Betriebe stellen wieder ein.“ Man weiß ja aus der Zeitung, welcher Betrieb gerade wieder die Arbeit einstellt. Fragt sich nur, warum deshalb folgt: „Der Aufschwung ist da“? Ja, fragen Sie nur, deshalb steht ja die Telefonnummer im Text. (0180) 5221996 und vollautomatisch zirpt eine Frauenstimme: „Guten Morgen, Sie sind mit dem Presse- und Informationsamt der Bundesregierung verbunden. Falls Sie eine bestimmte Publikation bestellen möchten, antworten Sie bitte nach dem Signalton mit ,Ja‘“. Wenn Sie nun mit Nein antworten, wird stundenlang das jeweils nächste Angebot angesagt. Nur wenn Sie die einzig interessante Frage stellen: „Warum darf eine Bundesregierung sich im Wahljahr aus Steuergeldern eine Werbekampagne spendieren?“ antwortet die Automat-Frau: „Ich habe Sie nicht verstanden.“ Vera Gaserow
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