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■ QuerspalteDeutsches Porno-Archiv

Viel Anlaß zum Amüsieren boten sie bisher nicht, die Feierlichkeiten zum Thema „30 Jahre '68“. Dabei lagern in den Archiven noch haufenweise hochkomische Dokumente. Man bekommt zum Beispiel richtig gute Laune, wenn man die Redakteurskarriere rekapituliert, die Henryk M. Broder bei den legendären St. Pauli Nachrichten (SPN) machte. Die SPN, im April 1968 als Monatsblatt gegründet und in ihrer besten Zeit sogar täglich erhältlich, zeichneten sich aus durch eine bizarre Mischung aus linksradikaler Agitation, Nonsens und Pornographie. Henryk M. Broder, heute hauptberuflich Exlinker, war dort ein paar Monate für revolutionäre Sexpolitik zuständig. Seine Qualifikation beschreibt der Ex-SPN- Kollege Peter Dahl im 1982 erschienenen Buch „Die weiße Taube flog für immer davon“: „Broder hatte mit der ihm eigenen Systematik sein ,Deutsches Porno-Archiv‘ aufgebaut und wegen der Veröffentlichung einer konsum-kritischen Fellatio-Darstellung eine Hausdurchsuchung hinter sich.“

Im selben Buch erinnert sich der damals auch als Herbert- Marcuse-Rezitator brillierende Broder an einen Empfang der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften, zu dem „solche Flipper wie Gerhard Zwerenz..., Jörg Schröder vom März-Verlag und ich“ geladen waren. Bei der Veranstaltung ging es hoch her, weil „die Porno-Provo-Fraktion... nichts ausließ, was die Gegenseite schockieren konnte... Ob es verbale Provokationen waren, daß wir ständig ficken und Votze und vögeln sagten, oder daß ich 30 oder 40 Silbermesser, -gabeln und -löffel geklaut habe und... demonstrativ vor allen Leuten in meinen Koffer tat...“ Die Illusion, daß „Sexualität eine Bombe sein (kann), die die herrschenden Verhältnisse sprengt“, verlor Henryk M. Broder bereits 1970, nachdem er den pornographischen Briefverkehr der SPN- Kleinanzeigenkunden analysiert hatte. Die Leser würden die Ehe nicht „als Ursache ihrer Frustration erkennen“, stellte er fest. Ob er sein „Deutsches Porno-Archiv“ heute noch besitzt, ist leider nicht bekannt. René Martens

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