■ Querspalte: Durchhalten mit Turbo-Kerner
Zu den Überlebenstechniken des modernen Menschen gehört es, akustischen Unrat aller Art rechtzeitig vorauszuahnen und der drohenden Belästigung dann mit einer eleganten Bewegung auszuweichen. Ist ein Zusammenprall unvermeidlich, läßt man das Zeug immerhin möglichst routiniert an sich abtropfen, maskiert sich mit kühlem Gleichmut und sucht das Weite. Manchmal aber trifft einen der verbale Sondermüll ganz unvermittelt: „Und es ist wohl doch mehr als ein Märchen, daß eine deutsche Fußball-Nationalmannschaft erst nach 90 Minuten besiegt ist – wenn überhaupt.“ Was war das? „Schtonk“ auf der Tonspur? Nein. Es war Johannes B. Kerner beim Kommentieren des Spiels der deutschen Mannschaft gegen die jugoslawische in Lens.
Später wurde dann viel geweint wegen der rechtsradikalen deutschen Hools, die weniger einem französischen Polizisten als vielmehr „dem Ansehen Deutschlands“ Schaden zugefügt hätten. Diese narzißtische deutsche Weltsicht ist so unneu wie ihre Bigotterie offenkundig: Man darf sich nicht wundern, wenn der deutsche Bodensatz so handelt, wie der deutsche Mainstream redet.
Mainstream aber ist Kerners penetrantes, gleichwohl kalkuliertes „Deutschland!“-Gebrüll. Sein Durchhaltedeutsch ist nicht Ausnahme, sondern Prinzip. Der Mann weiß, was so viele seiner Landsleute gerne hören. Und gibt es ihnen satt: Bundestrainer Vogts, so teilte Kerner während des Spiels Deutschland – Mexico mit, habe sich „vor der Bundeswehr gedrückt“ – um dann süffisant hinzuzufügen: „Aber wir wollen den Berti nicht zum Vaterlandsverräter machen. Schließlich hat er, mit der Nummer 2 auf dem Rücken, Deutschland oft genug verteidigt.“ Und obwohl Kerners deutsche Freunde im Stadion ihn gar nicht hören konnten, verstanden sie ihn doch gleich richtig und brörten: „Steht auf, wenn ihr Deutsche seid!“ Wer noch einen Grund braucht, um lieber länger liegenzubleiben in Deutschland, bekommt ihn gratis und geschenkt. Er heißt Johannes B. Kerner. Wiglaf Droste
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