■ Querspalte: Elfmeterschießen ist inhuman!
Wir stehen vor großen Problemen: Wie werden wir zwischen Viertel-, Halb- und Ganzfinale mit den fußballfreien Intervallen fertig. Cold Turkey: Abgründe unstrukturierter Zeit tun sich auf, Depressionen zermürben uns, das Leben scheint plötzlich keinen Sinn mehr zu haben. Doch „wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch“ (S. Herberger). Es naht unvermutete Hilfe von der britischen Insel. Dort muß eine ganze Nation das erschütterndste Ereignis seit dem Tod Prinzessin Dianas bewältigen: Das Aus der Nationalmannschaft gegen Todfeind Argentinien durch Elfmeterschießen.
Die drängende Frage: Wie wird der tragische Elfmeterschütze Herr Batty mit seinem Versagen fertig? Als Erste Hilfe gegen „Post-Traumatic-Stress-Disorder“ (PTSD) – ein von Flugzeugabstürzen bekanntes Syndrom – schlagen Kommentatoren seelischen Beistand vor: Psychotherapie zur Aufarbeitung des traumatischen Geschehens. Mit Freuds Hilfe möge er die Zertrümmerung seines Selbst abmildern und herausfinden, warum er das Spielgerät nicht an den Zielort befördert hat. Tief vergrabene Erfolgsängste? Eine Hemmung, den Ball – balls ist im Englischen gleichbedeutend mit Hoden – allzu heftig zu treten? Oedipale Wut auf den Trainer, der zu den Spielern „wie ein Vater“ (!) ist?
Wie dramatisch die Spätfolgen unbehandelter PTSD sind, zeigen die Beispiele Uli Hoeneß und Roberto Baggio. Beide haben sich von ihrem historischen Elfmeter-Versagen nie mehr erholt. Hoeneß beendete seine Laufbahn sehr jung, kompensierte den Fehlschuß durch aggressiv-brutalistische Geldvermehrung. Sein Kopf ist aus Scham bis heute puterrot. Baggio war nach der EM lange verletzt (!) und erreichte nie wieder einen Stammplatz, verlor sein Geld durch unseriöse Anlagengeschäfte. Das verheerende Elfmeterschießen produziert mehr und mehr Penaltykrüppel. Es muß aufhören. Unser Vorschlag ist demokratisch, praktikabel, gerecht. Über Sieg und Niederlage entscheidet der Zuschauer – per Ted-Umfrage der Telekom. Manfred Kriener
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