■ Querspalte: Bonn, wo bist du?
So viele schöne Urlaubsbilder haben wir in den vergangenen 16 Jahren vom ewigen Kanzler aus seinen Ferien am Wolfgangsee zu sehen bekommen: Wie er Rehkitze und Hannelore streichelt, oder wie er in eine wildledergrüne Freizeitjoppe gepreßt durch den österreichischen Wald bricht. Kraft sammeln, Pfunde abspecken, Frischluft tanken, strahlte es stets aus Helmut Kohl, der wußte: Zu Hause wartet die Macht am Rhein, die Herde mit den Zweitweibchen und den Nebenbuhlern, die ihm zwar ins Gehege kamen, die er aber immer noch besiegt hatte.
Doch was für ein entsetzliches Bild schickt er uns in diesem Wahljahr 1998? „Schöne Urlaubsgrüße vom Wolfgangsee“, heißt es wie zum Hohn auf dem neuesten CDU-Plakat. Auf allen vieren kniet Kohl im See, den faltigen Wanst zur Kühlung ins Wasser getaucht, den vom lastenreichen Leben gedrückten Rücken schwer gebeugt. Mit dem Riesenrüssel sprüht er sich, die indischen Ohren ängstlich angelegt, erfrischendes Naß über den erschöpften Körper. Blau ist die Sommerwelt von Himmel und Wasser, und traurig richtet er die kleinen Knopfaugen über das Ufer hinaus Richtung Heimat: Bonn, wo bist du? Kehr' ich jemals zurück?
Hämisch hat sein Adlatus Hintze zwei Wörtchen auf das Bild gepinselt: „Keep Kohl!“ Doch der weiß längst, daß er sich nicht mehr halten kann, weil sie ihn zu Hause so sehen werden: nackt im Wind. Bei der letzten rituellen Waschung vor dem weiten Gang zum Friedhof der Macht. Die gelb gewordnen Zähne wird er sich selbst abschlagen. Niemand soll sein Elfenbein bekommen. Oder soll er noch einmal den alten Kampfgeist wiederbeleben? Die Zähne wetzen, mit dem Rüssel um sich schlagen? Oder doch lieber auf Mitleid setzen: Ich bin's der alte Bulle, nehmt mich noch einmal für vier, na gut zwei Jahre. Auch wenn der Dung nicht mehr so fest ist. Und da lächelte Kohl, als er sich den Lieblingsvers seiner Kindheit ins Gedächtnis zurückrief: „Der Elefant setzt imposant 'nen Haufen in den braunen Sand.“ Michael Ringel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen