■ Querspalte: Rentenfuzzis
Vor Jahren stieg der tapfere kleine Bundesarbeitsminister Norbert Blüm auf eine Leiter und klebte persönlich ein Plakat an eine Litfaßsäule: „Die Renten sind sicher.“ Auch das gebetsmühlenartige Wiederholen des Satzes beruhigte die Bevölkerung kaum. Das ist doch Pfeifen im Dunkeln, hieß es, wenn jemand nötig hat, so etwas zu plakatieren, dann ist er doch erst recht nicht davon überzeugt. Von da an war die Verunsicherung über die Zukunft der Renten groß. Eine Unsicherheit, die auch einen 35jährigen Dortmunder überkam. Inspiriert vom Kaufhauserpresser Dagobert, forderte der arbeitslose Akademiker 3,3 Millionen Mark von der Supermarktkette Aldi und anderen Unternehmen. Sollte er die Summe nicht erhalten, wollte er Lebensmittel vergiften. In sich eigentlich ein logischer Plan, da die Aldi-Besitzer zu den reichsten Deutschen gehören. Auch hatte der kluge Akademiker jahrelang als Student sein Geld zu Aldi getragen, jetzt sollte es eben mit Zinsen zurückerstattet werden.
Nach seiner Verhaftung jedoch gab er laut Geständnis als Motiv für die Tat an, mit den 3,3 Millionen hätte er seine „Altersversorgung sichern“ wollen. Die Verbrecher sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Ein 35jähriger hat den Zugriff auf Millionen, und statt Tahiti, schnellen Frauen und schönen Autos fällt ihm nur ein: „Ich wollte meine Rente sichern.“ Zu Recht ist der Mann soeben vom Landgericht Essen zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden. Doch einer fehlte auf der Anklagebank: Norbert Blüm. Der Bundesarbeitsminister hat in den 16 Jahren seiner Tätigkeit aus Studenten und Jungakademikern Rentenfuzzis gemacht. Von wegen: „Live fast, die young“. An deutschen Universitäten grassiert die Pensionärskrankheit: „Wenn ich meinen nächsten Schein habe, bin ich wieder ein Semester näher an meiner Altersversorgung.“ Auf dem Lehrplan stehen schon lang nicht mehr Anarchie und freie Liebe. Der Traum des Akademikers heißt: vom Studium gleich in die Rente. Die hoffentlich bald auch für Norbert Blüm bereitsteht. Michael Ringel
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