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■ QuerspalteMehr Demokratie wagen

Alle zwei Jahre wird mir als der Landwirtschaftsbeauftragten der taz mit dem Schwerpunkt „Kuh“ von der Redaktion ein Statement bewilligt. Am 30. August 1996 durfte ich an dieser Stelle unter dem Titel „Gewalt gegen Bauern“ über den Unfallort Kuhstall berichten. In bewegenden Worten wußte ich die Unbill zu schildern, der unsere Gummistiefel tragenden und besoffen Diesel-Mercedes fahrenden Mitbürger Tag für Tag beim Melken ausgesetzt sind. Eine Recherche, die ganz offensichtlich die Landwirtschaftskammern aufhorchen und nach Möglichkeiten rascher Abhilfe suchen – und finden ließ! Es ist soweit, meine Damen und Herren, liebe Kühe: Nicht nur „Unfallverhütung“, sondern auch „Mehr Demokratie wagen“ heißt es mit einigen Jahren Verspätung jetzt auch im Standort Kuhstall! Nicht der Bauer, sondern die Kühe entscheiden künftig, wann sie gemolken werden. Und nicht der Bauer kriegt einen mit dem Kuhschwanz gewischt, fällt vom Schemel und bricht sich die Ohren in der Kuhscheiße, sondern der Melkroboter. Wirklich wahr! Auf dem Weg zum Fressen betritt die Kuh die Melkbox – kann sie, muß sie aber nicht –, wird vom Roboter aufgehalten, kriegt vier Zitzenbecher verpaßt und wird abgemolken. Dann schwenkt der Arm des Roboters mit den vollen Bechern zur Seite, die Tür öffnet sich, und die Kuh verläßt den Raum.

Sie wird also nicht mehr zweimal am Tag zu regelmäßigen Zeiten gemolken, sondern kann diese Melkbox ganz nach Gusto aufsuchen.Im November soll mit zwei Gruppen von Kühen getestet werden, ob die das packen. Für jemanden wie Sie, liebe Leserin, die höchstens ein bis zwei Kühe zu Hause betreut, wird sich der Spaß allerdings nicht lohnen, denn eine solche Melkanlage kostet 300.000 Mark. Die Begeisterung in Kuhkreisen hält sich also noch in Grenzen. Deshalb sollte man auch Kritikern keinen Glauben schenken, die meinen, bei dieser Innovation handle es sich so kurz vor den Wahlen nur um Stimmenfang. Das glaube ich nicht. Bei uns gibt doch so oder so jedes Rindvieh seine Stimme ab. Fanny Müller

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