■ Querspalte: Reis mit Grünkohl und Pinkel
Nachts vorm Fernseher gerät man hin und wieder in alte schwarzweiße Bundestagsdebatten. Neulich hatten sie eine vom November 1983 rausgekramt. Es ging um irgendwelche Raketen, die in der BRD stationiert werden sollten. Die Grünen waren dagegen. In deren Reihen saßen ganz im Ernst vier Waldschrate mit Vollbärten bis zum Hosenlatz. Davor Gert Bastian und Petra Kelly, über den Schultern Lila-Laune-Tücher. Tuchlos am Rednerpult stand der grüne Abgeordnete Otto Schily und erzählte von einem befreundeten DDR-Bürgerrechtler, der Schwerter zu Spaten umschmieden wolle. Es sei wichtiger, einem hungernden Kind eine Schale Reis zu reichen, als Raketen zu stationieren.
Mittlerweile erreicht Schily eine Abordnung des oldenburgischen Stadtrats in Berlin, die ihn – mit Grünkohlzepter und Schweinekette, die Herrschaftsinsignien des Grünkohlkönigs – beschenkt. Inthronisiert stand er da und schaute gemüseartig in die Linsen der Fotoapparate. Hatte er nicht gesagt, daß es für eine „zusätzliche Zuwanderung“ „gar keinen Spielraum“ gebe? Warum kamen dann die Oldenburger hierher? Ist es nun eine Selbstverständlichkeit, daß, wer hier seinen dauerhaften Wohnsitz nimmt, „die deutsche Sprache erlernt“? Warum durfte dann diese Veranstaltung „defftig Ollnborger Gröönkohl-Äten“ heißen? War nicht die Grenze der Belastbarkeit erreicht? So viele Fragen köchelten in Schilys Kopf, daß er ganz knitterig schmunzeln mußte. Aber es schmeckte – hmmm. Besser als eine Schale Reis.
Damit ihr Nationalgericht mundet, hatten die Oldenburger ihr Land geplündert, unter anderem drei Zentner Grünkohl und 500 Pinkelwürste nach Berlin exportiert. Pinkel ist ein Stück vom Mastdarm, das mit Speck und Grütze gestopft wird. Andernorts in Niedersachsen heißt sie Brägenwurst, weil auch Hirn drin ist. Mundartlich ist ein Mensch brägenklüterig, bei dem es im Kopf nicht ganz stimmt. Ich kann nichts dafür, schuld sind die Oldenburger. Dietrich zur Nedden
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