: Querspalte
■ Polit-Peepshow
Dass die Schauspielerin Gaby Dohm („Schwarzwaldklinik“) die Mumu quer sitzen habe, ist ein gern kolportiertes Gerücht. Doch solche Absurditäten sind privater Natur und gehören hier gar nicht hin. In dieser Glosse geht es nur um Edles, Wahres und Amtliches: Soeben ist Joschka Fischer zum „Redner des Jahres 1999“ gekürt worden. Dasselbe „Tübinger Seminar für Allgemeine Rhetorik“, das im vergangenen Jahr Martin Walsers Auschwitz-Ansprache adelte, zeichnet jetzt den grünen Außenminister für seine Bielefelder Beutelrede zum Kosovo-Krieg aus.
Aber wie hat sich der alte Schepperfürst den Titel gesichert? „Kantapper, kantapper, kantapper, kantapper, öche, öche, öche“, fasste Fischer-Experte Christian Y. Schmidt bereits im Frühjahr die Knarz-Rhetorik und den ribbeligen Rhythmus des mageren Marathonmanns stilsicher zusammen. Ganz anders der Tübinger Philologe Gert Ueding, der die farbreiche Rede als „zukunftsweisend“ lobt: „Die sprachliche Kraft des Redners lässt kaum einmal nach.“ Wir erinnern uns an eine sich überschlagende Stimme mit pathetischen Brüll-Effekten: „... und mit welcher Sicherheit er die rhetorische Ausdrucksskala von drastischer Anschaulichkeit bis hin zu bewegendem Pathos beherrscht, darin kommt ihm niemand zur Zeit gleich“.
Zur Zeit! Aber wir kennen ja noch das aus dem Rrrachen rrrollende Pathos bewegter deutscher Politiker. Doch was ist das Niederschreien anderer gegen Fischers in die Falten der Betroffenheit geworfene Stirn. Eine Mumu des Mitleids, die durch sein „persönliches Gewissen“ erzeugt wurde. Fischer hat seine Privatmoral zum politischen Gegenstand gemacht, die er in Bielefeld mit feierlicher Ergriffenheit öffentlich herzeigte, weil sie ihm quer sitzt. Eine tatsächlich zukunftsweisende Polit-Peepshow deutscher Rhetorik. Michael Ringel
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