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Quer­den­ke­r*in­nen in BerlinAfterhour für 711

Lilly Schröder
Kommentar von Lilly Schröder

In Berlin demonstrierten am Samstag 12.000 Querdenker*innen. Der harte Kern hält sich weiterhin im „Friedenscamp“ im Tiergarten auf.

„Natürlich immun! … gegen GEZ-finanzierte Propaganda“ steht auf dem Shirt eines Protestierenden Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

A n Afterhour-Angeboten mangelt es in Berlin nie. In den Genuss kommen derzeit auch all jene, die sich am Samstag beim Schlendern durch Westberlin mit Kuhglocken und Friedenstauben noch nicht ausreichend ausgetobt haben. Der harte Kern der 12.000 Querdenker-Demonstrierenden ist am Montagmorgen im „Demokratie-Fürsorge-Camp“ in der Hofjägerallee im Tiergarten anzutreffen.

Zwischen Bierkästen und Peace-Plakaten sitzen rund 40 Corona-Leugner*innen vor ihren Camperwägen und bereiten sich Frühstück zu. „Querdenken 711 Stuttgart“ steht auf ihren Shirts oder „Natürlich immun! … gegen GEZ-finanzierte Propaganda“. Die Kennzeichen (Wuppertal, Mettmann, Würzburg, Bitterfeld) lassen erahnen, dass es ausnahmsweise nicht nur Ber­li­ne­r*in­nen sind, bei denen die Schrauben etwas locker sind.

„Ich bin am Samstag aus Trier angereist“, erzählt ein Protestierender, der ein Shirt mit der Aufschrift „Rebel“ trägt. Was er hier mache? „Man kann geil saufen, geil feiern.“ Eine Woche lang plant er zu bleiben. „Die Zeit gibt einem ja keiner zurück.“ Wegen der „verlorenen Zeit“ forderten auch Demonstrierende am Samstag die „Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen“ sowie „Konsequenzen für die Verantwortlichen“.

Unweit des Camps war am Montag ein Auto mit der Aufschrift „Jesus Lebt“ und einem metergroßen Kreuz aus Corona-Masken zu sehen. Auf der Ladefläche wies eine Info-Tafel auf Strafanzeigen hin, die mehrere AfD-Bundestagsmitglieder gegen maßgebliche Akteure der Corona-Politik, wie Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) oder RKI-Chef Lothar Wieler gestellt hatten.

Forderungen nach Konsequenzen für die Verantwortlichen

Im Protestcamp werden ähnliche Forderungen laut: „Handschellen jetzt RKI“ steht auf einem Auto der rechten Coronaleugner Plattform reitschuster.de. Ein Protestierender aus Hannover will „bloß Frieden“. In Workshops widmen sich die Campteil­neh­me­r*in­nen täglich Fragen rund um Kontrolle, Freiheit und Frieden. Das gestrige Thema: Überwachung durch Bitcoin.

Danach gab es einen Meditationskurs. Einige sehen aus, als hingen sie noch mitten in der Schlussentspannung: Mit Federn im Hut und „global-love“-Bandanas hängen sie um einen Biertisch herum und besprechen, wo das Camp hinziehen könne, um mehr Sichtbarkeit zu erlangen. Den Standort kurzfristig zu ändern sei aber gar nicht so einfach wegen Auflagen vom Grünflächenamt und Versammlungsvorgaben … Die da ooooooooben!

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Lilly Schröder
Redakteurin für Feminismus & Gesellschaft im Berlin-Ressort Schreibt über intersektionalen Feminismus, Popkultur und gesellschaftliche Themen in Berlin. Studium der Soziologie und Politik.
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9 Kommentare

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  • Währenddessen planen einige im Bundestag allen Ernstes einen Bürgerrat zur Aufarbeitung der Pandemie. Es ist völlig unmöglich, dass darin keine Querdenker zu finden sein werden. Und Aufarbeitung bedeutet in Deutschland nicht etwa, dass Experten die Maßnahmen bewerten und daraus Empfehlungen für die nächste Pandemie ableiten, sondern Vergeltung und Rache für die Querdenker und irgendwelche Leute, die mal 2020 von einer Parkbank vertrieben wurden. In Deutschland redet man jetzt schon so, als seien das und nicht die fast 200.000 Toten die „wahren Opfer“ der Pandemie gewesen.

    In anderen Ländern, Spanien zum Beispiel, gibt es gar keine Querdenker. Dabei hatte Spanien, anders als Deutschland, einen echten, harten Lockdown. Für mich sind Querdenker ein Zeichen der zunehmenden Dekadenz Deutschlands, dieser mittlerweile landestypischen egoistischen Larmoyanz und Ängstlichkeit. Sie halten sich zwar für mutig, aber in Wirklichkeit hatte niemand so viel Angst vor der Pandemie und dem damit einhergehenden Kontrollverlust wie die Querdenker.

    • @Suryo:

      Klar werden in dem Bürgerrat auch Querdenker zu finden sein.

      In dem Bürgerrat zur Klimaerwärmung werden auch Vielflieger und Autofahrer zu finden sein.

      So läuft Demokratie mit Bürgerbeteiligung.

      12000 Leute zu einer Demo zusammenzukriegen, das ist kein Pappenstil.

      Offenbar ist das Thema noch immer für viele wichtig.

      Vergeltung und Rache entspringen dem Bedürfnis nach Gerechtigkeit.

      Wenn dieser Bürgerrat die Leute befriedigt ihnen das Gefühl von Gerechtigkeit vermittelt und so zum gesellschaftlichen Frieden beiträgt, hat er seinen Sinn erfüllt.

      Ob ein Bürgerrat das schaffen würde, da habe ich meine Zweifel. Aber einen Versuch ist es wert.

      Die Spanier haben offensichtlich deutlich mehr Vertrauen in ihren Staat.

      Ich bin übrigens jemand, der kein Problem mit den Corona-Maßnahmen hatte, und dem nachvollziehbar war, dass man mit den Maßnahmen erstmal im Nebel rumstocherte.

      • @rero:

        Sie sind echt mal optimistisch! Leute, die allen Ernstes Workshops organisieren, wie man der Verfolgung durch Bitcoin entkommen könne, sind vielleicht eine Drehung weiter verschraubt, als dass man mit ihnen etwas im rationalen Rahmen auskaspern könnte. Ein Mindestmass von Übereinstimung oder common ground in der Einschätzung was der Fall ist, ist unumgänglich. Man kann sich darüber streiten, dass die Corona-Maßnahme schlecht begründet oder übertrieben waren (beides nicht mein Standpunkt). Beide Seiten der Kontroverse sollten allerdings wenigstens in ein paar grundlegenden Begebenheiten übereinkommen. Ein bisschen rationale Begründungslogik, minimale Faktenkenntnis (Viren existieren wirklich, Impfungen existieren wirklich) der betreffenden Sache usw. Ich weiß um ehrlich zu sein nicht wie ein solches Gremium walten sollte, dass irgendwie ausgewogen mit Querschwurblern und Wissenschaftlern besetzt wäre. Und ich würde es sogar Letzteren nicht zumuten wollen...

      • @rero:

        Ich halte generell nichts von Bürgerräten, aber einen zur Pandemie halte ich für völlig absurd.

        Eine Aufarbeitung kann nur so laufen wie in Spanien oder Großbritannien: Wissenschaftler bewerten die konkreten Maßnahmen. In beiden Ländern kam heraus, dass man tausende Menschen hätte retten können. Dagegen waren und sind in diesen Ländern die hier immer noch beklagten Grundrechtseinschränkungen kein Thema. Da sagt man sich eben ganz pragmatisch, dass man hinterher immer schlauer ist und damals ggf. Vorsicht besser war als Nachsicht (oder hätte sein sollen!). Diese ganze Diskursverschiebung, die wir hier in Deutschland haben - die “wahren Opfer” der Pandemie seien die Leute gewesen, die im Frühjahr 2020 nicht ins fitnessstudio oder Möbelhaus durften und ähnlicher Quatsch - gibt es woanders so einfach nicht. In sehr vielen Ländern ist man auch einfach nur froh, dass das schlimmste vorbei ist und hat nicht diese masochistische Fixiertheit, mit der sich die Deutschen immer gerne Traumata anzüchten.

        Der Bürgerrat ist schlicht und einfach nicht qualifiziert für eine “Aufarbeitung”. Zumal die Querdenker sowieso niemals irgendwelche Ergebnisse akzeptieren, die ihren Ansichten zuwiderlaufen

        • @Suryo:

          Sie haben recht, eine vernünftige Aufarbeitung auf der Sachebene braucht Wissenschaftler.



          (Ich weiß nicht, ob da vielleicht mehr drin wäre, aber das ist gerade nicht unser Thema.)

          Diese Bürgerräte haben für mich auch den Haken, dass sie weder demokratisch gewählt sind noch Fachkompetenz haben.

          Das Hauptproblem in der Gesellschaft scheint fehlendes Vertrauen in den Staat, sein System und seine Institutionen zu sein.

          In weiten Teilen der Bevölkerung. Nicht nur bei Querdenkern.

          Mehrere Politikwissenschaftler und Soziologen halten diese Bürgerräte für ein probates Mittel, diese Entfremdung aufzubrechen.

          Ganz unschlüssig ist die Pro-Argumentation nicht.

          In einer Demokratie ist der Prozess entscheidend, weniger das Ergebnis. Wenn die Bürgerräte zu einer Stärkung der Demokratie führen, soll mir das recht sein.

          Die Diskursverschiebung betrifft wirklich nicht nur die Pandemie.

          In einem Beiheft der Taz fiel mal der Begriff "Opferolympiade".

          So sind nun die Zeiten.

          Die Querdenker haben begriffen, dass man nur als Opfer Aufmerksamkeit bekommt, um seine Interessen durchzusetzen.

          Das muss man nicht überbewerten.

          Wichtig ist, diese Leute möglichst wieder ins Boot zu holen

          • @rero:

            Wie gesagt, ich glaube, dass Querdenker jedes Ergebnis, dass ihnen nicht passt, ablehnen bzw. als Beweis für finstere Machenschaften betrachten würden. So funktioniert verschwörungstheoretisches Denken nun mal. Sie übersehen ja auch geflissentlich, dass das RKI zB dagegen war, dass Covidpositive nach fünf Tagen wieder aus der Quarantäne konnten, das Ministerium das aber aus politischen Gründen durchgesetzt hat. Für die Querdenker gehört Lauterbach immer noch bestraft. Und viele meinen damit nicht Gefängnis.

            • @Suryo:

              Die knallharten Irren wird man nicht erreichen.

              Manche, die erreichbar sind, vielleicht schon.

              Einen Versuch ist es wert.

              Es rücken im Augenblick so viele Themen in eine irre Richtung.

              Da ist es nicht verkehrt, wenn mal ein Thema abgeschlossen wird.

              Und man sammelt Erfahrungen für zukünftige Themen.

          • @rero:

            Um noch mal auf Spanien zurückzukommen: dort ist das Vertrauen in die Regierung keineswegs hoch und die Polarisierung zwischen rechts und links ist viel stärker. Aber die Spanier haben vielleicht gerade durch die Erfahrung des harten Lockdowns die anderen Einschränkungen nicht als so hart wahrgenommen. Außerdem sind sie generell eher gruppenbezogen und nehmen ihre individuellen Befindlichkeiten vielleicht nicht so wichtig. An den Querdenkern ist mir von Anfang an ihre egoistische Selbstbezogenheit aufgefallen. „Sollen doch die anderen Masken tragen, wenn sie Angst haben!“ - ein Spruch, der in Spanien sozial einfach nicht akzeptiert würde.

            • @Suryo:

              Ich war noch nie in Spanien, kann deshalb nicht vergleichen.

              Die individualistische Selbstbezogenheit zu Corona-Zeiten, die bei uns überall zu finden war, hat mich auch überrascht.

              Die Idee vom duckmäuserigen Nationalcharakter der Deutschen sind auch nur Vorurteile.

              Wahrscheinlich gab es kaum irgendwo weniger Egoismus. Deshalb würde ich Ihre Wahrnehmung blind unterschreiben.

              Witzigerweise erlebte ich so manche Verweigerung von Leuten, die sich mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt wünschen.

              Ein Grund mehr aber, die Coronazeit noch einmal öffentlich in heterogenen Gruppen zu reflektieren.

              Die nächste Pandemie kommt bestimmt.

              Die Selbstbestätigung in homogenen Zirkeln bringt niemanden weiter.