Queerfeindliche Übergriffe in Berlin: Mit Kuchen gegen Hass und Gewalt
Senatschef Wegner verspricht eine konsequente Verfolgung von Übergriffen auf LSBTIQ*. Wie groß das Problem ist, zeigt dabei der „Maneo-Report 2023“.
Der Anlass für das Spektakel: der in genau einer Woche bevorstehende Internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie (IDAHOBIT). Der Anschnitt des Regenbogenkuchens, den CDU-Mann Wegner nun schon zum zweiten Mal zelebriert, ist dabei Teil der jährlichen „Kiss Kiss Berlin“ Kampagne des schwulen Anti-Gewalt-Projekts Maneo.
„Zusammen setzen wir heute ein klares Zeichen für ein weltoffenes und tolerantes Berlin“, sagt der Senatschef. Freiheit, Vielfalt, Toleranz: Genau dafür stehe die Hauptstadt. Eigentlich. Denn umso mehr, sagt Wegner, schockiere ihn der Anstieg queerfeindlicher Gewalttaten. Erst am Mittwoch meldete Maneo, dass man im vergangenen Jahr satte 23 Prozent mehr Vorfälle gezählt habe als 2022.
Ein schwuler Mann, der in Neukölln auf der Straße von einer Dreiergruppe beleidigt und am Kopf verletzt wird. Zwei in der Öffentlichkeit Hand in Hand gehende Frauen, von denen eine von einem Jugendlichen so hart ins Gesicht geschlagen wird, dass sie einen Knochenbruch erleidet. Das sind nur zwei von insgesamt 685 Fällen von Beleidigungen und Übergriffen gegen Schwule, Lesben, Queers, trans und bi- und intersexuelle Personen, die im aktuellen „Maneo-Report 2023“ erwähnt werden.
Beleidigungen, Körperverletzungen, Nötigungen
Bei den im vergangenen Jahr erfassten Taten handelte es sich demnach vor allem um Beleidigungen (32 Prozent), versuchte und erfolgte Körperverletzungen (31 Prozent) und Nötigungen und Bedrohungen (27 Prozent). Die meisten Übergriffe, so Maneo, geschahen in der Innenstadt, vorneweg mit 24 Prozent aller Fälle in Schöneberg.
Ob es tatsächlich zu mehr Taten kam oder ob die Opfer sich mehr als früher mit ihren Erlebnissen an das Anti-Gewalt-Projekt wenden, lässt sich schwer sagen. Maneo zufolge sprechen die hohen Zahlen „auch für eine langsam wachsende Bereitschaft, Übergriffe nicht weiter zu verschweigen, sondern darüber zu sprechen“.
Das Ausmaß ist gleichwohl erschreckend. Szene-Einrichtungen seien beschossen oder mit Buttersäure oder Reizgas traktiert und Scheiben eingeworfen worden. Mitarbeiter:innen seien bedroht und beleidigt worden. Alles in allem registrierte Maneo 85 Übergriffe, die sich direkt gegen Initiativen, Gedenkorte und Teilnehmer:innen von Veranstaltungen richteten.
Auch deshalb forderte Maneo-Leiter Bastian Finke den schwarz-roten Senat schon am Mittwoch auf, endlich mehr zu tun, um „den Schutz unserer Einrichtungen und Events sicherzustellen“. Der Regierende erklärt anlässlich des Kuchentermins zwei Tage darauf: „Die Berliner Polizei und Justiz gehen konsequent gegen Straftäter vor. Wir dulden in Berlin keine Gewalt, Hass und Hetze.“ Eine Zusage für verstärkte Sicherheitsmaßnahmen klingt anders.
Sahnecreme in Regenbogenfarben
Zum Kuchenanschneiden am Freitag wurden unter anderem Vertreter:innen verschiedener Berliner LSBTIQ*-Gruppen, der Polizei, Schüler:innen und Lehrer:innen eingeladen. Auch Seyran Ateş, Mitbegründerin der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee und Maneo-Fachbeirätin, ist dabei. Maneo-Leiter Bastian Finke sowieso.
Finke blickt dann auch noch einmal mit Sorge auf die Ergebnisse des Reports blickt. Er betont, dass in Berlin täglich Übergriffe stattfinden. Die Angriffe belasteten die demokratische Gesellschaft und verletzten die Menschenwürde der Opfer. Erneut geht Finke bei der Gelegenheit auf den dringend nötigen Schutz der LSBTIQ*-Einrichtungen ein. Er findet: Deshalb seien Veranstaltungen wie diese im Roten Rathaus besonders wichtig.
„Dann geht's jetzt los“, verkündet Kai Wegner nach Finkes Ansprache und schneidet unter Beifall den „Kiss Kiss Berlin“ Kuchen an. Alle Teilnehmer:innen der Veranstaltung bekommen ein Stück. Sahnecreme in Regenbogenfarben. Der Kuchen schmeckt. Er wurde von einem großen Hotel gespendet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen