Queer in Litauen: „Historisches Urteil“
Das oberste Gericht erklärt das Verbot gleichgeschlechtlicher Partnerschaften für verfassungswidrig. Dadurch werde das Rechtsstaatsprinzip verletzt.
Das Verfassungsgericht war am Donnerstag zu dem Schluss gekommen, die staatlich eingetragene Lebenspartnerschaft, so wie derzeit im Bürgerlichen Gesetzbuch definiert, verstoße gegen das Grundgesetz, da diese nur eine Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau vorsehe und gleichgeschlechtliche Beziehungen ausschließe.
Derzeit ist im Bürgerlichen Gesetzbuch die Institution „eingetragene Partnerschaft“ zwar verankert. Gleichzeitig ist aber auch festgelegt, dass diese Partnerschaft durch ein gesondertes Gesetz geregelt werden muss. Das Parlament (Seimas) hatte Anfang der 2000er Jahre die Formalisierung eingetragener Partnerschaften zwischen Mann und Frau angestrebt, diese jedoch nicht gesetzlich verankert.
Ein Gesetzentwurf zur Anerkennung auch gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften war nach zwei Lesungen in der vergangenen Legislaturperiode im Parlament stecken geblieben. Der Gesetzentwurf sah unter anderem vor, dass die Partner*innen einer eingetragenen Lebenspartnerschaft gemeinsames Eigentum besitzen, sich jedoch auch auf eine Gütertrennung einigen können.
Sie waren einander gegenüber erbberechtigt, ohne Erbschaftssteuer zahlen zu müssen sowie befugt, im Namen und Interesse des/r anderen zu handeln, sich in Gesundheitsfragen zu vertreten und auf die medizinischen Daten des/ der anderen zuzugreifen.
Hängepartie seit Jahrzehnten
Das jüngste Urteil bedeutet, dass Menschen in Litauen gender-neutrale Lebenspartnerschaften registrieren lassen und dafür, wenn nötig, den Rechtsweg beschreiten können. Zudem muss die Legislative ein Gesetz zur Registrierung von Lebenspartnerschaften verabschieden.
Das Versäumnis, ein solches Sondergesetz innerhalb einer angemessenen Frist zu verabschieden, (…) habe zu Rechtsunsicherheit und allgemeiner Unsicherheit geführt. Die über zwei Jahrzehnte lang andauernde „Hängepartie“ habe „das Prinzip einer verantwortungsvollen Regierungsführung verletzt, so das Gericht. Stereotype, die in der Gesellschaft existierten, könnten nicht als Grundlage für die Verweigerung oder Einschränkung grundlegender Rechte und Freiheiten dienen.
„Ein Rechtsrahmen, der auf Vorurteilen unter anderem gegenüber gleichgeschlechtlichen Paaren beruht, wäre mit der Verfassung unvereinbar, einschließlich des daraus abgeleiteten Familienkonzepts, der Achtung der Menschenrechte und der Menschenwürde sowie der Werte der Gleichheit, des Pluralismus und der Toleranz, die einer demokratischen Gesellschaft innewohnen“, heißt es in der Urteilsbegründung.
Bereits im vergangenen Dezember hatte Litauens Verfassungsgericht ein bemerkenswertes Urteil gefällt und ein Gesetz gegen „Homo-Propaganda“ aus dem Jahre 2009 für verfassungswidrig erklärt. Das Gesetz verstoße gegen den in der Verfassung verankerten Schutz von Familien und Kindern sowie gegen die darin garantierte „Achtung der Menschenrechte, der Menschenwürde, der Gleichheit, des Pluralismus und der Toleranz“.
Ehe nur zwischen Mann und Frau
Nach diesem Gesetz war die Veröffentlichung von für Kinder bestimmten Materialien verboten, die Informationen enthalten, die „zur Missachtung familiärer Werte führen und ein anderes Konzept von Ehe und Familiengründung fördern als das, das die Verfassung und das Bürgerliche Gesetzbuch festlegen. Die litauische Verfassung schreibt vor, dass eine Ehe nur zwischen einem Mann und einer Frau geschlossen werden kann.
Im Dezember 2012 hatte die lesbische Autorin Neringa Dangvydė Macatė unter dem Titel „Bernsteinherz“ eine Märchensammlung veröffentlicht. Eine Geschichte handelt von einem Prinzen, der einen schwarzen Schneider, und einer Prinzessin, die ihre Jugendfreundin, die Tochter eines Schuhmachers, heiratet.
Nachdem hatte sich eine Person an die Regierung gewandt und dem Buch vorgeworfen hatte, „Perversionen zu fördern“, stufte das Kulturministerium die Märchen als jugendgefährdend ein und verbot den öffentlichen Verkauf.
Im Oktober 2014 reichte die Autorin gegen diese Entscheidung Klage ein. 2023 urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dass das Gesetz gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (ECHR) verstoße.
Das litauische Gericht kam zu dem Ergebnis, dass die Verfassung die Ehe zwar als Verbindung zwischen Mann und Frau definiere, der Begriff Familie jedoch geschlechtsneutral sei und sich auf verschiedene Familienmodelle erstrecke. Daher verletzten Geschichten über gleichgeschlechtliche Paare innerhalb von Familien nicht das litauische Recht.
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