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Archiv-Artikel

Qualität und Quote

Qualifizierung nur noch für High-Potentials? Laut Hartz-Konzept sollen 70 Prozent der Absolventen einer Fortbildung aus der Kundenkartei des Arbeitsamts verschwinden. Alternative Studie vorgelegt

von ANJA SCHNAKE

Regierungsberater Peter Hartz hat eine Zahl zum Gütesiegel geadelt: 70 Prozent der Absolventen einer Fortbildung sollen in Zukunft aus der Kundenkartei des Arbeitsamts verschwinden, so will es die neue „Rechtsverordnung über moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“, die nach der Sommerpause verabschiedet wird – Symbol des Politikwandels im Zeichen von Hartz und Grund genug für die Gewerkschaften, sich noch mal in die Debatte einzumischen.

„Die Quote sagt nichts über die Qualität der Veranstaltung, sie führt vielmehr zu einer Bestenauslese: Fortbilder werden sich auf die High-Potentials stürzen“, kritisiert Peter Faulstich, Spezialist für Erwachsenenbildung an der Universität Hamburg. Im Auftrag von ver.di, IG Metall und GEW haben Faulstich und seine Ko-Autoren Dieter Gnahs von der Universität Hannover und Edgar Sauter vom Berliner Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) eine Studie zum „Qualitätsmanagement in der Weiterbildung“ erarbeitet – im Juli wurde sie vorgestellt.

Besser: Flexibles Qualitätsmanagement

Bereits beschlossene Sache ist nach Hartz die Gründung einer zentralen Zulassungsstelle für „fachkundige Stellen“ – Zertifizierungs-Agenturen, die Bildungsträger auf ihre Förderungswürdigkeit durch das Arbeitsamt prüfen sollen. Wo die Bundesanstalt mit der 70-Prozent-Keule droht, schlagen Faulstich, Gnahs und Sauter vor, der Bildungsträger soll zugelassen werden, wenn er sich einem flexiblen Qualitätsmanagement unterzieht, zum Beispiel einem System von Selbstkontrolle.

Einen solchen Bildungs-TÜV hat Hamburg bereits seit 1987: Der Verein Weiterbildung Hamburg e. V., hat bisher knapp 200 von gut 300 Trägern der Stadt auf Standards wie Ausstattung der Einrichtung oder Qualifikation der Mitarbeiter geprüft. Auf einem umkämpften Markt geht es dabei nicht nur um Verbraucherschutz. Seit der potenzielle Kursteilnehmer mit seinem Bildungsgutschein in der Hand auf eigene Faust loszieht, wächst der Bedarf an den prestigeträchtigen Gütesiegeln.

„Einige Einrichtungen flüchten sich bereits in aufwendige und teure Systeme, um irgendetwas vorweisen zu können“, berichtet Regina Beuck von Weiterbildung Hamburg. Und warnt vor unseriösen Anbietern, die das entstandene Chaos nutzen könnten, um teure Zertifizierungssysteme an verunsicherte Träger zu verscherbeln. „Nur der gemeinnützige Status dieser Agenturen wird in diesem Bereich eine Kostenexplosion verhindern“, pflichtet Faulstich bei. Der Verein Weiterbildung Hamburg hat sich um den Job als Zertifizierungsagentur für Hamburg beworben.

Der Status der künftigen Agenturen ist indes noch völlig unklar. Sicher ist nur, dass die steigenden Kosten fürs Qualitätsmanagement von sinkenden öffentlichen Mitteln bestritten werden sollen. Das Arbeitsamt Hamburg kürzte im Weiterbildungsbereich das Förder-Budget für 2003 gegenüber dem Vorjahr um 15 Millionen Euro, der Hamburger Senat will den Etat für Aus- und Weiterbildung halbieren (taz hamburg berichtete). Die Folge: Rund 7.500 Hamburger wurden im Juni 2002 weitergebildet, im Juni dieses Jahres waren es gerade mal 4.643.

Ein Schlag ins Kontor vor allem für Bildungsträger, die mit langjährig und fest angestellten Trainern arbeiten. Die Hamburger Stiftung Berufliche Bildung (SBB) trainiert seit 1982 benachteiligte Jobsuchende – was kürzlich sogar Bildungssenator Rudolf Lange zu einem salbungsvollen Bekenntnis zur SBB veranlasste. Langzeitarbeitslose, MigrantInnen oder Suchtgefährdete sollen hier für den ersten Arbeitsmarkt fit gemacht werden. Doch „künftig werden wir nach Pauschalen bezahlt, die im Bundesdurchschnitt ermittelt werden“, sagt Iris Paluch, Leiterin des Qualitätsmanagements bei der SBB: „Damit werden wir unsere schwierige Klientel kaum qualifizieren können.“ Das erwartete Minus im Budget: Etwa 30 Prozent.

Priorität: Schnell zum Job oder in die Ich-AG

Um vor Hartz zu bestehen, hat die SBB ihren Lehrplan bereits komplett umgekrempelt: Ausnahme wird die gründliche Qualifikation in festen Branchen sein, die Regel dagegen kürzere Trainingseinheiten, fein dosierbare Bildungshäppchen, idealerweise im Hinblick auf den bereits vorhandenen Arbeitsplatz. Zudem hat die SBB eigene Hartz-Pakete geschnürt, die nun bevorzugt gefördert werden: Das Programm DIA („Direkt in Arbeit“) soll vor allem schnell zum Job führen, spezielle Seminare präparieren für die eigene Ich-AG.

Auch der Wettbewerb um die vom Arbeitsamt verordneten und öffentlich ausgeschriebenen Maßnahmen hält die eine oder andere Überraschung bereit: „Da bekommen plötzlich Institutionen den Zuschlag, von denen wir noch nie etwas gehört haben“, sagt Iris Paluch: „Es ist klar, dass da der Preis die Hauptrolle spielt, die Qualität ist Nebensache.“