QUERSPALTE: Glücklich ist, wer vergißt...
■ Meister? Fußball? VfB Stuttgart? — Nie gehört!
Achtung, liebe Leserin, lieber Leser, halten Sie bitte den Kopf nicht genau über diesen Text, denn wir versuchen es jetzt gleich mit einem gemeinsamen „Cry-In“, und die Zeitung soll dabei von den Tränen nicht allzu naß werden. Wir gehen also mit den Gedanken zurück zum Samstag, 17.13 Uhr. Ganz intensiv vergegenwärtigen wir uns diesen Augenblick, ja, so ist es schon sehr gut, noch ein bißchen doller vielleicht, 17.13 Uhr, 17.13 Uhr... Ah, die Augen werden schon ein wenig feucht? Dann geben wir uns den Rest und murmeln leise: Guido Buchwald, Guido Bu... — wunderbar, es tropft, dann noch einmal: Guid... Was, das war gar nicht mehr nötig, es rauscht bereits, sturzbachartig? Prima.
Nachdem wir derart kollektive Trauerarbeit geleistet haben, befreien wir uns nun vom gröbsten Schmerz mit einer kurzen Schrei-Therapie, Moment, alle zusammen: eins, zwei, drei — Scheiße! Ein bißchen lauter, so hilft das wenig, also noch mal: Scheiße!!! Ach, das nimmt doch so recht den Druck von der Seele, wenn es auch am Faktum nicht zu rütteln vermag: Ja, der VfB Stuttgart ist Deutscher Fußball-Meister, nicht die Borussia.
Es ist dies nur eine weitere Bestätigung dafür, daß unsere Welt Gerechtigkeit nicht kennt, aber das wissen Sie bestimmt von der sonstigen Lektüre dieser Seite. Der VfB! Wer kann das ernsthaft gewollt haben? Niemand? Wohl wahr.
Ein Klub, der den wackeren Karl Allgöwer nie recht geduldet hat; ein Trainer, der fanatischer mit den Augen irrlichtert als jeder Ayatollah; ein Manager, der vom alternativen Kunstbetrieb träumte und zum Yuppie mutierte; ein langweiliges Publikum; ein Buchwald, der im Jubel noch trauriger guckt als ein sträunender Hush-Puppie...
Schlimm, echt schlimm ist das alles, aber keine Bange, wir kriegen das schon wieder hin. Wozu sind wir denn 1a im Verdrängen, und warum sollten wir das nicht auch mal sinnvoll einsetzen? Wir schließen dazu die Augen und starten das Löschprogramm: keinen Samstag mehr, 17.13 Uhr nie gewesen, Bundesliga weg, Meisterschaft auch... So, jetzt müßte die Platte sauber sein — alles fort.
Kleine Gegenprobe, lesen Sie sorgfältig: Christoph Daum! Was, das Augenlid zuckt noch etwas? Nächster Versuch: VfB!! Ach, nix rührt sich, kein Herzflimmern mehr, kein Achselschweiß? Na bitte, es geht doch. Jetzt legen wir nur noch Die Fledermaus auf und hören Johann Strauss: „Glücklich ist, wer vergißt, was nicht mehr zu ändern ist.“ Herr Thömmes
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