piwik no script img

■ Pyramiden-Joe Höll dichtet – schnell, unkompliziert, „undundund“Die Fünf-Minuten-Terzine

New York, 1971: Andy Warhol stolpert über einen Satz von Rembrandt, der nach eigener Einschätzung 100 Meisterwerke schuf. „100 Meisterwerke in einem Leben?“ fragt Warhol. „Ich mach' dir 100 Meisterwerke an einem Tag!“

Rottenburg am Neckar, 1998: Joachim Höll schreibt, wenn's gut läuft, im Fünf-Minuten-Takt Gedichte. Freunden und Verwandten bietet er an: „Nennt mir irgendein Thema. Dann setzt euch schon mal ans Faxgerät und wartet.“ In seinem Leben habe er erst ein Gedicht mittendrin abgebrochen.

Der blonde 39jährige, der auch in Jeans eine Maßanzug-Aura um sich zu verbreiten vermag, ist von Beruf Wünschelrutengänger. Als geprüftes Mitglied der Vereinigung deutschen Rutengänger spürt er bis an die Schweizer Grenze Wasseradern und andere unterirdische Unregelmäßigkeiten auf, die bei den Menschen, die obendrüber wohnen, eventuell Kopfschmerzen und Schlimmeres auslösen. Kopfzerbrechen bereitete Höll bis vor kurzem, daß sich seine Erzeugnisse nicht recht reimen wollten und noch dazu von einer „gewissen Inhaltslosigkeit“ geprägt waren. Er wollte ein Dichter sein. Doch: Erst nachdem bei ihm im Frühling 1996, wie er sagt, „mental“ eine unterirdische Quelle zu sprudeln begann, ist er einer geworden. Seitdem fallen ihn die Gedichte förmlich an, er kommt „gar nicht mehr nach mit dem Stenografieren“. Weil aber selbst bei einem wie Höll „nach vier oder fünf Gedichten Feierabend“ ist, hat es ein Jahr gedauert, bis im Frühling 97 sein erstes Buch erschien. Es heißt „Das Bedürfnis zu handeln“ und handelt genauso viele Themen ab wie eine Spiegel-Ausgabe an einem durchschnittlichen Katastrophenmontag. Schon die Titel gemahnen irgendwie an Nachrichtenmagazin: „Risiko Sowjetunion“, „Die Kirche“, „Der Sport“, „Deutschland“. In der Auslandsrubrik findet sich Amerikakritisches („Cowboy als Kind / Schauspieler gewinnt / der lockere Colt / Herrschaft gewollt“) und eine Polemik gegen China („Die gelbe Rasse / erdrückende Masse / unterschätze sie nicht / als ein kleiner Wicht“).

Hölls poetologische Prinzipien lassen sich auf den Nenner bringen: Möglichst viel Politik reinpacken! Und: Immer im Paarreim! Bei seiner eiligen Produktion ist es kein Wunder, daß sich unreine Reime einschleichen, wie in dem sozialkritischen „Der Berber“ („die Trunksucht war sein Wille / verlor dadurch Familie“), oder den Versen das Verb fehlt („mit ihm wollte nun / keiner zutun“).

Erfrischend unfertig sind diese Gebilde im günstigsten Fall. Höll ist keiner, der unnötig viel Zeit mit der Suche nach der perfekten Formulierung vertut. Anders als die monologischen, um konkrete Aussagen stets verlegenen Lyriker seiner Generation, wirft er mit Botschaften nur so um sich. Gebt der Jugend Perspektiven, tragt nicht immerzu Masken, alles dreht sich nur ums Geld. Denkt der Dichter und schreibt es fast genauso hin. „Mit Lyrik möchte man was mitteilen, und Gedichte sind ja Lyrik, oder?“

Keinen geringeren als Helmut Kohl versucht Höll in seinem neuesten Werk zur Umkehr zu bewegen. Er macht den Kanzler für jedes in Deutschland „produzierte und verkaufte Rüstungsgut“ persönlich verantwortlich, außerdem für das Verfehlen der Maastricht- Kriterien, das schleppende Vorankommen der Sonnenenergie, „unundund“ (Höll). Der zirka drei- bis viermal pro Seite direkt als Leser angesprochene „Herr Bundeskanzler“ habe sich hier von „falschen Zahlen leiten“ lassen, dort „in den Tag hinein geträumt“. Jetzt gebe es nur noch eine Chance, das Vertrauen der Wähler zurückzugewinnen: „Ändern Sie Ihre Politik!“ Selbstverständlich hat Höll die Bußpredigt nach Bonn geschickt. Ohne Reaktion: „Kohl sitzt mein Buch aus!“

Bei Höll zu Hause gibt es einen Spiegel mit großem „König Pilsener“-Schriftzug und ein Regal mit Steinen, denen man heilende Wirkung nachsagt. Das Bücherregal ist dagegen sehr schmal. „Ich hab nie in irgendwelche Lyrikbücher reingeguckt, um mir Informationen zu holen“, sagt er selbstbewußt, „am Ende heißt es noch: Der kupfert ab.“ Dafür weiß er viel über „das Licht in unseren Zellen“, weil er gerade ein Buch liest über Biophotonen. In Hölls Arbeitszimmer steht eine Minipyramide, die der Ägypten- und Esoterik-Fan maßstabsgerecht aus Pappe gebaut hat. Darin konserviert er „seit dem 9.5. 1995, 20.18 Uhr“ eine Scheibe Salami. Einfach um zu beweisen, daß so was geht.

Seine Bücher veröffentlicht er unter dem Pseudonym „Pyramiden-Joe“, den Namen hat er bereits beim Patentamt München als Warenzeichen eintragen lassen. Denn wenn er mit dem Dichten durch ist, will Höll auch die anderen Künste erobern. „Mit 50 oder 60 Jahren lern' ich noch Gitarre und steig' ins Musikgeschäft ein.“ Einfach um zu beweisen, daß so was geht. Hey, Joe. Oliver Fuchs

Pyramiden-Joe: „Das Bedürfnis zu handeln“ (Teil I und II je 104 S., 17,80 DM) und „Kohls Verantwortung oder Vertrauen ist Zukunft“ (240 S., 29,80 DM); beide im Principal-Verlag, Münster

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen