piwik no script img

PutschgerüchteGrüne ohne Christa Goetsch

In der GAL mehren sich Bedenken gegen erneute Spitzenkandidatur. Schule kein Top-Thema mehr, Bildungsbehörde ohne Gestaltungskraft gilt als entbehrlich.

Der Mann an ihrer Seite fehlt schon: Unterm Tisch wird auch am Stuhl von Christa Goetsch gesägt. Bild: dpa

Christa Goetsch ist nicht mehr unantastbar. Hamburgs Zweite Bürgermeisterin und Schulsenatorin wird als Spitzenkandidatin der GAL bei der nächsten Bürgerschaftswahl 2012 in Zweifel gezogen. Nach dem verlorenen Volksentscheid über die Primarschulreform sei die Schulpolitik "kein Gewinnerthema mehr", und der 58-Jährigen hafte "das Loser-Image" an: "So können wir nicht in die nächste Wahl gehen", lautet die Erkenntnis einer flügelübergreifenden Gruppe in der GAL, die offensichtlich Zulauf erhält.

Offiziell möchte sich bislang niemand äußern. Und sämtliche fünf GesprächspartnerInnen der taz wollen nicht von einem Putsch reden und beteuern, "dass das nicht gegen Christa persönlich geht". Aber die grüne Partei müsse ganz unromantisch zwei Fragen beantworten: "Wie stellen wir uns inhaltlich und personell am besten für die Wahl auf?" und "Warum stagniert die GAL in einer Stadt wie Hamburg weiterhin bei zehn Prozent, während die Grünen im Bund und vielen Ländern über 20 Prozent liegen?"

Bereits beim Parteitag am 22. August, auf dem die GAL über die Fortsetzung der schwarz-grünen Koalition unter einem CDU-Bürgermeister Christoph Ahlhaus debattierte, waren erste kritische Stimmen ertönt. 20 Grüne aus der vermeintlich zweiten und dritten Reihe - darunter aktive und ehemalige Bürgerschaftsabgeordnete, diverse Bezirkspolitiker sowie zwei "Graue Eminenzen" mit reichlich Einfluss und Verbindungen - hatten in einem Antrag einen Neustart grüner Regierungspolitik gefordert.

"Nachdem die Primarschule gescheitert ist, müssen wir nun verstärkt andere Themen bewegen", hieß es in dem Papier. Es folgten vier Themenkomplexe: "Verkehr", "Hochschule", "BürgerInnenrechte" sowie "Ökologische und soziale Stadtentwicklung" - von dem jahrelangen grünen Topthema Bildung samt der Prämisse des "längeren gemeinsamen Lernens" war keine Rede mehr. Weite Passagen wurden letztlich in den Leitantrag des Parteivorstandes übernommen und beschlossen.

Nach Informationen der taz wurde das heikle Thema seitdem hinter den Parteikulissen "nur informell ventiliert", Diskussionen in offiziellen Gremien gab es noch nicht. Die Debatte gewinnt an Fahrt im Hinblick auf einen GAL-Parteitag am 7. November. An jenem Sonntag sollen auf einer "Zukunftskonferenz" in fünf thematischen Diskussionsforen die Weichen für das Wahlprogramm 2012 gestellt werden.

"Wir dürfen nicht nochmal den Fehler machen, auf Leuchttürme und Symbole zu setzen", sagen deshalb nun einige der AutorInnen jenes Antrags und zählen auf: die Elbvertiefung, Moorburg und die Schulreform würden den Grünen als "gescheiterte Projekte" angehängt: "Ob sachlich zu Recht und nicht, ist egal. Die Leute sehen das eben so."

Und deshalb empfehlen die Kritiker, statt der Schulpolitik das Thema Wissenschaft in den Mittelpunkt zu stellen. Im Schulressort könne man "bestenfalls vier weitere Jahre verwalten", so die Analyse, bei Hochschulen und Forschung jedoch "können wir gestalten". Für einen neuen politischen Schwerpunkt müsse leider im Zweifel auch das Personal ausgewechselt werden.

GAL-Parteichefin Katharina Fegebank versichert, dass "es keine Personalspekulationen gibt". Darüber werde die Partei im nächsten Jahr sprechen, jetzt stünden Inhalte im Vordergrund". Einigkeit herrsche jedoch darüber, dass grüne Politik in Hamburg künftig "nicht mehr so sehr an einzelnen großen Projekten ausgerichtet werden soll, sondern stärker an Werten und Leitlinien". Gesucht würden Antworten darauf, wie grüne Ideen mit politischen Mehrheiten und vor allem gesellschaftlicher Akzeptanz zu realisieren seien.

Die in Syrien urlaubende Christa Goetsch hält die gesamte Debatte für verfrüht, wie sie auf Anfrage der taz sagte. Die Partei werde zunächst "über die Programmatik diskutieren und später dann auch über das Personal". Bis dahin sei die Frage der Spitzenkandidatur "kein Thema".

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • K
    Klamann

    Habe den Artikel mit ziemlichem Entsetzen gelesen. Ich wähle die Grünen (auch mangels Alternative) seit es sie gibt. Das Thema Schulreform ist mir als Vater eines Schulkindes verdammt wichtig. Wenn die Grünen jetzt auch noch den Scheuerl machen, dann werden sie für mich (zumindest in Hamburg) unwählbar.

  • BH
    Bernd Höller

    Gravierende Veränderungen - wie die von der GAL gewünschte und der CDU zähneknirschend akzeptierte - Strukturreform erfordern, dass die Betroffenen auch an den Rahmenbedingungen mitgestalten können. Das "Zwangsmodell" Primarschule ohne Ausnahme für Profilzweige weiterführender Schulen (etwa Musikzweigen oder altsprachlich ausgerichteter Zweige von Gymnasien entsprechender Prägung) sollten nach Goetscher Auffassung nicht sein.

    Wer so kompromisslos-ideologisch die Probleme dieser Welt lösen möchte ist falsch am Platz.

    Mal sehen, was die neue GAL-Generation für Vorstellungen hat, vielleicht gibt es ja demnächst eine rot-grün-geführte Hamburger Landesregierung, die näher an den Bürgern ist als der derzeitige Hamburger Senat.

  • L
    lisarosa

    ja, da freut sich das lerntheoretikerherz: hier kriegen wir wohl die "wie-lernt-man-aus-fehlern"-variante *grün*: verpfuschte aufgaben einfach links liegen lassen und stattdessen andere aufgaben formulieren, die vermeintlich einfacher zu lösen sind.

    spass beiseite - hier wird deutlich, dass es natürlich auch der GAL, wie allen politischen parteien im politiksystem, nicht darum geht (gehen kann), gesellschaftliche probleme zu lösen, sondern darum, an der macht zu bleiben. (lies Luhmann)

  • MR
    Martin Roehl

    Faszinierend,

    stimmt das, was der Bericht kolpotiert, dann würde Christa die ganze Last des Scheiterns auferlegt. Eines Scheiterns einer Partei, das nur seinen sichtbarsten Ausdruck in dem verlorenen Volksentscheid zur Schulreform hat. Dessen Wurzeln aber sicherlich tiefer liegen, auch in einer weitgehenden Entfremdung vieler in dieser Partei von den Tagtäglichkeiten des Lebens in dieser Stadt. Und ..., was für Erfolge haben die Grünen denn aufzuzeigen, wo ist grüne Handschrift erkennbar, wofür sollten die Grünen wieder gewählt werden? ... und nun droht auch noch die Stadtbahn zu scheitern ...

  • WS
    Walter Scheuerl

    Rücktritt als Zeichen der Aufrichtigkeit

     

    Allein angemessen wäre ein rechtzeitiger Rücktritt von Christa Goetsch. Den nur so kann sie vermeiden, dem Hamburger Steuerzahler später noch langfristig mit Pensionsansprüchen auf der Tasche zu liegen. Wer wie Frau Goetsch in dierkter Nachbarschaft des Altionaer Museums lebt, das durch ihre eigenen Sparbeschlüsse von der Schließung bedroht ist, würde schlicht unanständig handeln, wenn er selbst bis zum Ende der Legislaturperiode bleibt, um Ruhegehaltsansprüche in Höhe von mehreren Tausend Euro pro Monat mitzunehmen, während die für die Kinder und Jugendlichen in Altona so wichtige Einrichtung des Altonaer Museums geschlossen und die Leihgebühren in den öffentlichen Bücherhallen erhöht werden.

     

    Setzen Sie ein Zeichen der Aufrichtigkeit und treten Sie rechtzeitig zurück, sehr geehrte Frau Senatorin Goetsch! Sie haben jetzt die Gelegenheit, wirklich etwas für die Kinder und Jugendlichen der Stadt zu tun.

     

    Herzliche Grüße,

    Walter Scheuerl

  • E
    exgrün

    Wer gegen Moorburg & Elbvertiefung wettert und sie dann doch nicht verhindert und die Kulturpolitik des Senats mit unterstützt kann sich mit 10% Wählergunst noch groß fühlen.

    Das scheitern der Goetsch-Suchlreform werden die wenigsten Grüne Wähler der Partei übel nehmen. Das hat Hamburg so entschieden.