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Archiv-Artikel

Punk im Lande Popo

THEATER Mirja Biel gelingt in Bremen eine berückende „Leonce und Lena“-Inszenierung – dank Joerg Zboralskis genialer Bühnen-Brache, in der sich das Meta-Lustspiel entfalten kann

Jenseits von Ernst und Unernst liegt das Spiel, und das braucht Raum

Georg Büchner war der Gründer der Anarchistischen Pogo Partei. Und „Leonce und Lena“ ist ihr Manifest. Das ist die Deutung, die Mirja Biel in ihrer Bremer Inszenierung nahelegt, und streng philologisch stimmt das natürlich nicht.

Büchner hat niemals eine Partei gegründet. Das war damals verboten. Als er 1836 „Leonce und Lena“ schrieb, hatte er mit der Revolution abgeschlossen, alles zwecklos, die Politik hinter sich, lächerlich, Materialismus und Idealismus in seiner Dissertation über Schädelnerven ins Absurde überführt. Und natürlich ist das Stück kein Manifest – sondern ein Lustspiel: Leonce, Prinz des Landes Popo, läuft vor seiner Braut Lena davon. Die ist Prinzessin von Pipi, leidet auch an Bindungsangst und begegnet Leonce auf ihrer Flucht vor ihm. Dann heiraten sie.

Es ist zugleich eine besonders bösartige Komödie, weil sie sich fast jedem Regie-Zugriff verweigert. Ihr Text besteht aus nur für sehr informierte ZuschauerInnen wahrnehmbarer Philosophie-Kritik gepaart mit derbsten Zoten und erzplatten Kalauern, die er, ein Tritt ins Gesicht des Lachers, mit Recht für doof erklärt. Wer diesen Text modernisieren will, ist ein Barbar. Und wer ihm mit der gebotenen Ehrfurcht begegnet, macht sich lächerlich: Das traurigste Beispiel dafür war der bedeutende Büchner-Forscher Thomas Mayer. Der versuchte 2003, die weitere Herausgabe der von ihm konzipierten historisch-kritischen Ausgabe gerichtlich zu stoppen – weil „Seite 14, Randzeile 23 die beiden Spitzklammern nicht fett, sondern mager gedruckt“ waren, wie’s in der Klageschrift hieß.

Jenseits von Ernst und Unernst liegt das Spiel, und das braucht Raum. Und Räume zu schaffen, ist eine Spezialität von Mirja Biel, einer echten Entdeckung der Bremer Interims-Team-Intendanz, die hier binnen vier Jahren ihre sehr eigenständige Regie-Handschrift entwickelt hat.

Für „Leonce und Lena“ stellt sie erst mal Abstand her zur Vorlage. Deren bewusst banalen Wortwitz verlängernd lässt sie Knarf Rellöm, also Frank Möller, als psalmodierenden Conférencier durch den Abend klampfen. Sie wirft die Struktur des Stücks über den Haufen, verändert die Szenenfolge, verdichtet das Personentableau und verlagert so das Gewicht der Figuren – sicher nicht nur, weil mit Johanna Geißler keine berauschende Lena da war.

Glenn Goltz hat als vorbildlich wirrer König Peter den ersten Auftritt, umwieselt von Timo Lampka und Thomas Hatzmann als zwei in angestrengter Servilitäts-Konkurrenz befindlichen Staatsministern. Und Valerio, eher Proto-Punk als Diener schon bei Büchner, ist der Chef: Sein kühnes Bekenntnis zur Faulheit wird zur Schlüsselszene, sein Ohrwurm, den er bekennt „so fort bis zum Ende meines Lebens“ singen zu können, steckt das Ensemble an, wird Leitmotiv der Aufführung. Biel lässt ihn nicht wie Büchner von einer „Fleig’ an d’r Wand“ singen, sondern, fast schon tiefgründig: „lass uns Drogen nehm’ und fortfahr’n“.

Alexander Swoboda spielt das genussvoll aus. Während Jan Byl, der als Leonce im ollen Wohnwagen am rechten Bühnenrand hockt und sich im Inneren dieses fluchtmobilen Prinzengemachs zugleich genial per Beamer an dessen Außenhülle projiziert, sein Selbstmitleid klagt, gleitet Swoboda per Longboard über die Bühne: Links steht ja die Palette Dosenbier. Zisch! Ah.

Ja, auf der Bühne ist Platz genug zum skaten, sie lädt dazu ein – und sie spielt mit. Das liegt an Joerg Zboralski, mit dem Biel stets zusammenarbeitet. Verständlich. Denn Zboralski, ein Schüler Gerhard Richters, kann Brachen gestalten. Drei, vier Requisiten, ein, zwei wenn auch wuchtige Effekte – und schon ist in schrammeliger Lakonie die ganze Geschichte erzählt: Wie ein dramatischer Unfall kracht, gleich zu Beginn des Abends, ein acht Meter großes Konstrukt auf die Bühne.

Die Notbeleuchtung geht an. Da liegt, mit Kappenlampen wie ein Kirmes-Karussel verziert, ein gigantisches P. Auf vor und in dieser Buchstaben-Ruine wird gespielt, vor dem durchaus philologisch korrekten Hintergrund, dass dieses Reich Popo wohl nie ganz ernst zu nehmen war. Dass es aber doch bessere Tage erlebt hat. Und dass es sich jetzt, trotz geregelter Thronfolge, in einem Zustand nach der Politik – in endgültiger Auflösung befindet. Völlig unverfängliche Botschaften, zumal in einem Land wie Bremen. BENNO SCHIRRMEISTER

nächste Aufführung : heute, 20 Uhr