: Puh!
Er ist ein Genie, keine Frage. Trotzdem tritt der einst gefeierte Wiener Talkmaster Hermes Phettberg nur noch vor kleinem Kreis auf. Warum?
von MARKUS VÖLKER
Die Begrüßung ist herzlich. Hermes Phettberg geht erst einmal pissen. Er wendet sich ab und erleichtert sich bei offener Klotür in ein Handwaschbecken, das vom Gilb zerfressen ist. Phettberg riecht. Er reicht mir seine Hand. Er trägt dieselbe petrolblaue Trainingshose wie bei unserem letzten Treffen vor zwei Jahren. Auch die Flecken darauf scheinen an den selben Stellen zu sitzen wie damals. Der Einlass in seine Wohnung im sechsten Wiener Gemeindebezirk Gumpendorf entspringt purem Zufall.
Am Vortag hinterließ ich an seiner Wohnungstür ein Schreiben mit der Bitte, er möge sein autistisches Gefängnis zu einem späteren Zeitpunkt öffnen. Aber Phettberg pflegt jeglichen Kassiber an der Zellentür ungelesen zu archivieren mit der Aufschrift: „Stak am Soundsovielten an der Tür.“ Obwohl er an diesem Morgen um zehn Uhr im Begriff ist, sich niederzulegen, muss ihn das Klopfen gelockt haben.
Phettberg ist grundsätzlich unerreichbar. Er versteckt sich. So wie es Kinder gerne tun. Aber er wird nicht gefunden. Nicht mehr. In der Geschichte „Das Versteckspiel“ von Martin Buber geht es einem Jungen ähnlich. Er verbirgt sich gut, harrt aus im Versteck. Doch als zu viel Zeit verstreicht, kommt er heraus und stellt fest, dass er nicht mehr gesucht wird. Er beklagt sich über den lustlos Suchenden und bekommt die Antwort, dass es Gott ebenso ergehe: „Ich verberge mich, aber keiner will mich suchen.“ Phettberg liebt diese Geschichte.
Es gab eine Zeit, da wurde Hermes Phettberg noch gefunden. Die Zeit, in der er, der Conférencier der „Nette Leit Show“, als „Alpen-Lettermann“ und „heimlicher Star“ von Spiegel und Frankfurter Allgemeinen Zeitung gefeiert wurde; als Bachmann-Preisträger Franzobel das Theaterstück „Phettberg. Eine Hermes-Tragödie“ ans Wiener Volkstheater brachte; als sich Phettberg, der vermeintliche „Paria der Parias“, vergaß und sich gänzlich in der ungewohnten Begegnung mit der Masse verlor.
Auch er suchte – nach Bedeutung. Und fand sie im Rotlicht der Kameras. „Ich bin zufällig vor den Scheinwerfer geraten“, erinnert Phettberg, „und dann hat man gesagt, aha, eine spannende Persönlichkeit.“ Er spielte den Clown. Die Öffentlichkeit, gebannt von seiner widerlichen Körperlichkeit und seinem feinfühligen Charme, ließ ihn zu. Auf Bewährung. Im Erscheinungsbild devot, doch im Wesen herrisch, spiegelte sich Phettberg in den Medien und glaubte das wahre Bild seiner selbst zu erkennen.
Der verwahrloste Schmock aus Gumpendorf stieß die Schmuckzeremonienmeister des Fernsehen vor den Kopf. Doch die Episode des „Säulenstehers in der Wüste“ geriet ihm zu kurz. Als die Leute Phettberg wieder zu hassen begannen, weil die Antiexistenz zu impertinent wurde, verschwand er. Niemand wollte dem Penner, auch wenn er noch so drollig und gescheit daherkam, im Bewusstsein Untermiete gewähren.
Das maliziöse Wien, „dieses irrsinnig kranke soziale Gebilde“, so Phettberg, war seiner schwarzen Seele überdrüssig. Der Arglose im TV-Land wurde nun für böse und durchtrieben gehalten. „Alle begannen mich anzufeinden: die Hippen, die Linken, die Bürgerlichen, die Kirche, die Nazis. Dabei galoppiert bei mir nur eine gewisse Unbedarftheit“, sagt Phettberg und wundert sich über die Raffinesse, die man ihm unterstellte. Er könne sich gar kein Image schmieden, nicht er, das Gegenteil eines Strategen und Taktikers. Er glitt vielmehr hinein in die Rolle seines Lebens, die er neun Monate lang besetzen durfte.
Es begann mit der Kleinkunst. In verschiedenen Klos der Stadt ließ er sich ein wenig peitschen oder las Texte. Ich lernte ihn bei einer Lesung kennen. Er schlenderte, die Hände wie üblich hinterm Rücken verschränkt, über den Flur der Wiener Universität, bei sich zwei Plastiktüten, und las später einige obskure Texte, die viel mit Religion und wenig mit der Wirklichkeit zu tun hatten. Schon damals kam es dort, wo er auftauchte, zum heimlichen Gewisper. Ist das nicht? So, so, der Phettberg! Ist ja noch wamperter als ich dachte.
In der freien Theatergruppe „Sparverein“ bekam er einen Großteil seiner Obsessionen unter. Als die Gruppe unter der Leitung des Regisseurs Kurt Palm ihr fünfjähriges Bestehen feierte, führte Phettberg durchs Programm. „Da hat man gesehen, dass ich erträglich moderiere, ohne dass die Leute angeödet sind oder aggressiv werden.“
Ganz im Gegenteil: Das Publikum war hingerissen. Palm und Phettberg trafen dann mit ihrem Konzept der „Nette Leit Show“ auf einen engagierten ORF-Redakteur. So begann der Rausch. Nüchtern wurde Phettberg erst wieder nach seinen Pirouetten im Frack, die er in der Harald Schmidt Show drehte.
„Von Falco gibt es den Spruch ‚Anfang der Achtziger bin ich aus dem Haus gegangen und erst am Ende wieder heim gekommen‘. Der Rausch, in der Öffentlichkeit zu stehen, ist eine Orgie.“ Sagt Phettberg, wuchtet seinen Körper aus dem Korbsessel und schlurft ins Nebenzimmer. Auf einem Sofa stapelt sich die Post des Jahres, unversehrt. Darüber hängen Fotos: der nackte Phettberg angekettet, der halbnackte Phettberg in Erwartung von Schlägen, der angezogene Phettberg in einem Fiaker. Der Mutter hat er einen Herrgottswinkel eingerichtet. Auch die Stiefoma hat einen kleinen Schrein. Die Wohnung ist recht sauber, für seine Verhältnisse. Seinerzeit musste ein ganzes Kommando Zivildiener die ordentlich vermüllten Zimmer freilegen. Sie wateten durch Staub und schafften ungezählte Kisten heraus. Phettberg liest gern Zeitung und neigt zum Archivieren der Gazetten.
Der ganze Unrat wurde zur Mutter nach Niederösterreich gebracht. Die Mutter, erzählt der missratene Sohn, stand nach dem Krieg ohne Mann da. Um den Hof nicht allein führen zu müssen, heiratete sie den Erstbesten. Einen Knecht konnte sie nicht bezahlen. „Dieser zynische Gedanke hat eine Ehe hervorgebracht“, sagt Phettberg gequält. Er komme aus „so unendlich gequetschten Verhältnissen“. Im Knabenalter verging sich ein Rauchfangkehrer immer wieder an ihm. Er musste ihm zu Diensten sein. Es sei ihm nicht zuwider gewesen, sagt Phettberg. In Wien angelangt, verstaubte er in einem Archiv als städtischer Beamter. Er entkam dem Archiv und wurde schwul.
Durch die Küche, in der eine ganze Stiege Weintrauben und anderes Obst lagert, führt mich Phettberg zu den Mäusen. Aber die Mäuse haben ihn verlassen. Sie sind einfach verschwunden. Vor einiger Zeit führte er noch eine amüsante Konversation mit ihnen. Er verfütterte Wurst. Irgendwann wurde die Wurst schlecht. „Die sind dann trotzdem gekommen und haben fressen vorgetäuscht. Gleichzeitig haben sie auch etwas gewürgt bei ihrer Show“, erzählt er. „Dann hab ich einen Gugelhupf für sie gekauft und sie damit überrascht. Und die Maus kommt heraus, sieht den Riesengugelhupf und kann es nicht fassen. Sieht und schaut mich an mit einem Blick, dass der Kosmos so etwas bieten kann.“ Niemand überrasche ihn, sagt er.
Warum nicht? „Ich bin vergraben, versunken in meiner Einsamkeit. Dann läutet das Telefon. Ich habe mit letzter Kraft einen Kompromiss geschlossen, wie ich weiterleben könnte. Das Telefon stört mich. Und ich verliebe mich in den Anrufer. Dann aber legt der Anrufer auf und ich muss meine Trümmer neu zusammenklauben“, antwortet Phettberg.
Warum aber ist es ihm nicht wie früher eine unbändige Lust zu vermitteln, was in ihm ist? Phettberg: „Es steht zu befürchten, dass ich in der Illusion lebe, aufmerksam zu leben, den Mitmenschen eine Wohltat zu sein. Bemüht, zu helfen. Stets so zu handeln, dass die Maxime meines Tuns zum allgemeinen Prinzip erhoben werden könnte. Vermutlich ist dieser innere Polarstern das Gerüst überhaupt, das mich leben lässt: Du bist ein Guti, sag ich zu mir. Echolot rundum.“
Doch das Sonar ortet Gefahr, da draußen. In seiner Arglosigkeit „die schmuckeste Moral ängstlich und gierig an sich raffend“, wird Phettberg von der Außenwelt überrumpelt. Sie bemächtigt sich seiner, und er ist wehrlos. Alles, was danach kommt, ist ihm unendliche Scham. „Das ist der Grund, warum ich mich immer unerreichbarer halte“, erklärt er. Es sind nichtige Dinge, die ihm widerfahren. Einmal verspricht ihm der Kabarettist Josef Hader eine Karte zur Premiere von „Komm, süßer Tod“ im Wiener Gartenbaukino.
Hader steht im Stau und Phettberg verloren im Foyer. Er mutiert in seiner Pein des Alleingelassenseins zum „Minderwertigen mit den Organminderwertigkeiten“. Der Wohltätige mit Kant’schem Vorsatz zerfällt zum „Hund, der allenfalls noch ein Batzerl seiner Kränkung“ in der Wohnhöhle aufs Papier scheißen kann. Die Sache mit Hader nimmt schließlich ein glückliches Ende und Phettberg feiert einen Pyrrhussieg über seine Paranoia: „Und wäre ich jetzt gebrochen, wer hätte etwas davon, und welches noch ärgere moralische Monstrum entwüchse dann wieder daraus?“
Ein andermal wird er vom österreichischen Fernsehen ORF bei einer Premiere im Untergeschoss des Ringstraßencafés „Prückel“ aufgestöbert. Die Sendung „Seitenblicke“, die sich auf die neuesten Garstigkeiten der Wiener Schickeria spezialisiert hat, filmt ihn ab und Phettberg grübelt anschließend darüber, warum der ORF, der ihn „als eine Art Lemure vorführt“, ihn wieder in die Depression reißt. Aber sein Thema ist nicht mehr „Phettberg im Spiegel der Öffentlichkeit“. Er befindet sich in einem anderen Kreislauf der Sucht: Fressen und hungern. Dieses Möbiusband hat sich fest um ihn gezurrt.
Zwischen uns liegen 160 Kilogramm“, stellt Phettberg fest. Im August 2000 brachte er 78 Kilo auf die Waage. Heute sind es wieder 155. Was war geschehen, dass Josef Fenz, damals 49 Jahre alt, sich und seinen Künstlernamen aushungerte? Ein Konzentrationsglück, nennt er es, das ihn ereilt habe. Dadurch hätte er ein Jahr lang asketisch leben können. Doch die Konzentration forderte ihren Tribut: Phettberg zahlte mit noch größerer Abschottung. „Ich habe ein ganzes Jahr lang alle Kontakte abgebrochen“, sagt er. Die Post stapelte sich. Türklingel und Telefon blieben abgeschaltet, hunderte E-Mails ungeöffnet.
Diejenigen, die ihn auf der Straße sahen, glaubten ihn schwer krank, so zog er, eingefallen und grau, durch Wien. Ganz falsch lagen sie nicht. Denn Phettberg hatte vor seinem Lebenswandel einen Zuckerschock, später ein akutes Nierenversagen überstanden. Daraufhin entstand in ihm „Panik“, sodass er sich in ein Vorhaben verbiss: das des Abnehmens.
Es muss den Vielschlemmer titanische Anstrengung gekostet haben, am Anker, der Bäckereikette, vorbeizugehen und nicht seine geliebte Extrawurst in rauhen Mengen zu verspeisen. Alles, was nicht Sucht war, kam so gut wie zum Erliegen. „Im Moment der vollen Sucht können Sie nicht in sich gehen“, sagt er. „Ich bin kein produktiver Mensch. Ich bin entweder durch meine Suchtkrankheit beschädigt oder mit meinen Konzentrationsversuchen, der Sucht zu entgehen, so beschäftigt, dass ich zu keinerlei Produktion komme.“ Er produziere deshalb nie. „Nie, nie. Ich bin lebenslänglich nur süchtig.“ Das heißt: „Erliegen und kämpfen.“
Seine Kolumne „Phettbergs Predigtdienst“ in der Wiener Stadtzeitung Falter unterbrach er auch in jener Periode des konzentrierten Kalorienklaubens nicht. Irgendwann fand er sogar wieder die Gelegenheit zu kommunizieren. Eine Spendenaktion trug ein paar Brocken vom großen Schuldenberg ab. Die Zeit wollte ihn als Kolumnisten. Eine Internetfirma filmte ihn wöchentlich. Aber es kam, wie es kommen musste. Die Schulden wuchsen wieder. Die Zeit wollte ihn doch nicht. Und die Internetfirma hatte andere Probleme. Zurzeit sucht er wöchentlich eine kleine Bühne mit seinen „Hirnstromprotokollen“ auf. Ein Dutzend Zuhörer kommen.
Und am Ende kürt Hermes Phettberg, der sich als „SM-Päderasten“ bezeichnet, den Jeansboy des Tages. Ein Akt der Verzweiflung. Denn die Jahre zu zählen, in denen er keinen Sex hatte, braucht es zwei Hände. Der selbstverliebt verliehene Titel des sexuellen Outlaws taugt allenfalls dazu, seinen fatalen Magnetismus zu vertuschen: Phettberg zieht nicht an, er stößt nur ab. Genau genommen stößt sein Körper ab, der bei meinem Besuch so sehr stinkt, dass ich im Laufe des Gesprächs beginne durch den Mund zu atmen, um dem Geruch zu entkommen. Sein Hang zum strengen Odeur erklärt er damit, dass er sich gern schnuppere. Wenn dieser brünstige Duft von den Schenkeln aufsteige, erfülle ihn das mit Lust. Seine Mitmenschen denken darüber anders. Nicht selten wird er aus Lokalen hinausgeworfen.
Selbst ein Phettberg kommt aber nicht ohne Eitelkeit aus. Als ich ihm ankündige, Fotos schießen zu wollen, schaut er an sich herab auf den von Löchern zerfressenen Pullover und die befleckte Trainingshose: „So? Na, das is scho a bisserl grauslich.“ Er zieht ein weißes T-Shirt über, posiert und frohlockt, dass der Besucher zum Zwecke der Aufnahmen auf die Knie geht.
„Ich bin schwul. Ich bin hässlich. Ich bin ein Genie.“ Dieser Dreisatz Truman Capotes könnte auch das Markenzeichen Phettbergs sein. Neben dem Leid, das ihm die Säfte, Sekrete und die Sucht auferlegen, sitzt in ihm ein hochsensibler Geist, bloß wundgescheuert an der Oberflächlichkeit seiner Zeitgenossen. In der Körperhülle Penner, im Denken ganz der idealistische Dandy, imponiert Phettberg als Korrektiv einer tumben Stadt. Wo Wien durchtrieben scheint, ist er naiv. Wo Wien verblödet, gibt er den Weisen im Elfenbeinturm.
Phettberg würde wohl verzweifeln über diesen Sätzen. Er leidet nicht nur „am geschlossenen und eisigen Satzbau der Welt“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung), er lehnt auch die Festschreibung ab. „Wer auf den Begriff gebracht ist, braucht nicht weiter bedacht werden, ist erledigt und bestattet“, referiert er.
In seinen besten Momenten wandelt sich Phettbergs ausweglose Verzweiflung in eine ironische, entwickelt sein festgefressenes Wesen ein religiös verklärtes Liebessehnen, nur um im nächsten Augenblick das Dilemma seines Lebens zu markieren: „Die eigentliche Tragödie ist, dass ich keine Freundschaften entwickelt habe“, sagt er resigniert. Denn „eine Freundschaft nimmt sich als Freundschaft wahr, wenn beide das Einrasten der Freundschaft verspüren. Dieses Geräusch habe ich nie gehört, diesen satten Klang“.
Ein wenig später will ich mich von ihm verabschieden. Er aber bittet mich, zwei Apfeltaschen und ein Kakaogetränk beim Anker über die Straße zu holen. Ich vermag es nicht, ihm diesen Wunsch auszuschlagen. Phettberg stellt sogar seine Klingel wieder an, damit ich auf dem Rückweg ins Haus hineinkomme. Mit dem Gebäck versorgt, dankt er, dass ich mich seiner erinnert habe, blickt mir im Treppenhaus hinterher und sagt, die jungen, anmutigen Passanten wüssten ja gar nicht, was sie in ihm hinterließen. Ich ahne es: Trümmer. Tristesse. Und zwei Apfeltaschen mit Kakao.
MARKUS VÖLKER, 31, studierte Psychologie in Jena und Wien. Nach einem fünfjährigen Aufenthalt dort lebt er nun seit drei Jahren in Berlin als freier Journalist