Publizist Bahman Nirumand im Interview: "Der Iran ist reif für die Demokratie"
taz-Autor Bahman Nirumand über ein Bombenattentat mit Rudi Dutschke, einen Wehrmachts-Major im Internat, die Fehler der iranischen Revolution und die deutsche Studentenbewegung.
taz: Herr Nirumand, Sie gelten als friedliebender, höflicher Mensch mit literarischen Neigungen. Doch einmal wollten sie zusammen mit Rudi Dutschke eine Bombe legen. Warum das, was hatten Sie vor?
Bahman Nirumand: Das war 1967, es ging um den Vietnamkrieg. Wir hatten über eine Aktion nachgedacht, die den USA propagandistisch schaden sollte.
Was genau planten Sie?
Es sollten keine Personen zu Schaden kommen. Wir wollten in der Nähe von Saarbrücken einen Rundfunkmast des amerikanischen Militärsenders AFN sprengen. Der spielte zwar sehr gute Musik, machte aber auch Propaganda für den Vietnamkrieg.
Daraus wurde aber nichts?
Nein, wir reisten mit einer Bombe an, die – das erfuhren wir später – ein V-Mann des Verfassungsschutzes gebastelt hatte. Mit der Bombe im Koffer flogen wir nach Frankfurt am Main. Dort wurden wir schon von zwei Polizisten in Empfang genommen. Sie sagten, dass uns der Polizeipräsident gerne sprechen würden. Das war natürlich ein Schock. Ich fragte, ob ich das Gepäck so lange ins Schließfach einschließen könnte. Ich durfte. Auf dem Präsidium war es dann nicht so wild. Danach holten wir den Koffer aus dem Schließfach und fuhren mit einem Mietwagen nach Saarbrücken.
Leben: geb. 1936 in Teheran. Studierte in München, Tübingen und Berlin Germanistik, Philosophie und Iranistik. 1960 Promotion über Brecht. Rückkehr in Iran, 1965 Flucht vor dem Schah-Regime. Befreundet mit Rudi Dutschke, Sprecher der iranischen Auslandsopposition. 1979 Beteiligung an der iranischen Revolution, 1981 erneute Flucht ins Ausland. Lebt heute als Publizist in Berlin.
Buch: Bei Rowohlt erscheint an diesem Wochenende seine Autobiografie "Weit entfernt von dem Ort, an dem ich sein müsste",
384 Seiten, 19,95 Euro.
Aber da kam auch alles anders als gedacht?
Ja, zum Glück, wie ich nachträglich sagen muss. Ein Freund, der Liedermacher Franz Josef Degenhardt, hätte Informationen zum Sendemast einholen sollen. Wir kannten uns ja dort gar nicht aus. Aber Degenhardt wollte bei der Aktion nicht mehr mitmachen. Und so flogen wir mit der Bombe im Gepäck wieder zurück nach Berlin, deponierten den Koffer bei einem Lehrer unterm Bett, der nicht wusste, was drin war. Später gaben wir die Bombe dem V-Mann Urbach zurück.
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Das war Ihr einziger Flirt mit solchen Aktionen?
Ja. Auch wenn ich Ulrike Meinhof gut kannte. Ich bedauerte die ganze Entwicklung.
Rudi Dutschke war Ihr Freund. Was empfanden Sie, als Sie am 11. April 1968 von den Schüssen auf ihn erfuhren?
Ich war schockiert, als mich der Anruf erreichte. Ich fuhr sofort mit dem Taxi zum SDS-Zentrum am Kudamm. Dort lagen Rudis Fahrrad, die Schuhe, seine Tasche. Rudi hatten sie bereits ins Krankenhaus gebracht. Als er einige Tage später aus dem Koma erwachte, hat er mich nicht erkannt. Er hatte seine Erinnerung verloren, es war schrecklich.
Sie waren einer der Vorsitzenden der CIS/NU, der Konföderation iranischer Studenten im Ausland. Wie kam es zu der engen Zusammenarbeit von deutschem SDS und iranischer Auslandsopposition?
Anlass war der Schahbesuch 1967. Aber wir waren vorher schon an Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg beteiligt. Die CIS/NU war die am besten organisierte Gruppe in Deutschland, nicht nur unter den Ausländern. Wir hatten weltweit etwa 100.000 Mitglieder, davon über 60.000 in Deutschland, nicht nur Studenten. Wir konnten innerhalb weniger Stunden in Deutschland, den USA, Japan oder Indien zu Aktionen mobilisieren.
Als der SDS zögerte, bei den Protesten gegen den Schahbesuch mitzumachen – sie meinten, es würde vom Protest gegen den Vietnamkrieg ablenken –, bin ich zur Kommune 1 gegangen. Die waren sofort Feuer und Flamme. Der SDS machte dann auch mit.
Sie kamen bereits als Jugendlicher in die Bundesrepublik?
Im November 1951 flog ich erst mal in die Bundesrepublik. Ich war 14, konnte kein einziges Wort Deutsch, alles war fremd.
Sie entstammen einer wohlhabenden Teheraner Beamtenfamilie. Warum schickte Sie Ihr Vater zur Ausbildung in die Bundesrepublik?
Zwei meiner Onkel hatten vor dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland studiert. Sie heirateten Deutsche und gingen mit ihnen zurück in den Iran. Meine Tanten vermittelten meine Unterbringung in Stuttgart. Aber wie wunderbar meine Gastfamilie dort auch war, ich saß den ganzen Tag auf meinem Zimmer und heulte aus Heimweh.
Ich bat, dass man mich in ein Internat zu anderen Kindern schickte. Ich kam auf ein Internat bei Korntal von der Herrnhuter Brüdergemeinde. Da herrschten strenge Erziehungsmethoden. Mein wichtigster Erzieher war ein früherer Major der Wehrmacht. Das hielt ich ein Jahr aus, dann bin ich zurück nach Stuttgart.
Sie machten Abitur und promovierten in Tübingen über Bertolt Brecht. Sie gingen in den Iran, kamen in den 60ern wieder in die Bundesrepublik, lebten in Berlin. Warum?
Nach dem Studium bin ich sofort in den Iran gereist, sehr viele Ideale im Gepäck. Leider musste ich feststellen, dass die fortschrittlichen Lehrmethoden, die ich im Ausland gelernt hatte, nicht gefragt waren. Die iranischen Intellektuellen saßen im Elfenbeinturm und schwärmten auf völlig irrelevante Weise von Orient oder Okzident. Zudem musste ich zum Militär, die übelste Zeit meines Lebens. Ich hasste das Militär.
Also lebten Sie wieder in Berlin. Doch 1979 zog es Sie wieder in den Iran. Sie beteiligten sich auf demokratisch-sozialistischer Seite an der Revolution gegen den Schah. Wann merkten Sie, dass alles schieflief?
Recht früh. Ich kannte die Mullahs. Man konnte ja hören, wovon Chomeini sprach. Deswegen gründete ich mit Freunden die Nationaldemokratische Front, als Auffangbecken für die demokratische Linke. Wir wollten den Weg des 1953 gestürzten Mossadegh fortsetzen, der einzigen demokratischen Figur, die das Land bis dahin hervorbrachte.
Sie gerieten sehr schnell unter Druck. Warum hat praktisch die gesamte iranische Linke 1979 Chomeini und die Islamisten unterschätzt?
Niemand konnte sich vorstellen, dass eine klerikale Diktatur entsteht. Iran war kein religiös-fundamentalistisches Land wie Saudi-Arabien. Die Schah-Diktatur beschränkte sich auf Machterhalt und ließ die Leute ansonsten machen, was sie wollten. Chomeini erklärte aber der offenen Gesellschaft sofort den Krieg. Er sagte, von nun an würden sie sich um alles kümmern, von vor der Geburt bis nach dem Tod. Doch wir glaubten: Wer mit dem Schah fertig wird, braucht auch die Turban tragenden Männer nicht zu fürchten. Ein furchtbarer Irrtum.
Wurden die Islamisten unterschätzt, weil man den Einfluss "des" (westlichen) Imperialismus überschätzte und kaum über hausgemachte Ursachen der iranischen Misere nachdachte?
Ich denke schon. Wir hatten die Gründe der Rückständigkeit zu wenig analysiert. Wir wollten den Schah weghaben, wussten aber kaum, was stattdessen kommen sollte. Wir Linken sprachen von Sozialismus, die Liberalen von Liberalismus. Aber das waren Formeln, die mit der Gesellschaft wenig zu tun hatten.
Die Islamisten hatten ein Fundament: immerhin 1.300 Jahre Islam. Und überall standen ihre Moscheen, die sie mit ihren fast 100.000 Mullahs in Parteizentralen verwandelten mit Massen an Gläubigen. Wir hatten dem nichts entgegenzusetzen. Der Schah hatte keine politischen Organisationen zugelassen. So gab es nur die Religion. Doch die Zivilgesellschaft hat der neuen Diktatur nun dreißig Jahre lang getrotzt, sich weiterentwickelt. Die iranische Gesellschaft ist heute reif für die Demokratie.
Herr Nirumand, Sie sind 1936 in Teheran geboren, haben inzwischen mehr Zeit im Ausland als in Iran verbracht. Viele Ihrer Freunde und Mitstreiter wurden ermordet. Dass Sie überlebten, verdanken Sie vielen glücklichen Zufällen. Glauben Sie, dass Sie den Iran bald einmal gefahrlos besuchen können?
Ich hoffe es. Dass ich überlebt habe, nicht nur physisch, sondern auch seelisch und geistig, das habe ich zu großen Teilen meiner Frau Sonia zu verdanken, einer aus Iran stammenden Ärztin in Berlin. Als ich nach der furchtbaren Niederlage nach Europa zurückkehrte, war ich wie viele andere vollständig am Boden. Es hat lange gedauert, bis ich das verarbeiten konnte.
Ohne Sonia hätte ich es nicht geschafft, nicht nur in psychischer Hinsicht. Sie hat mir auch sehr geholfen, meine politischen Einschätzungen zu korrigieren und mich auf neue publizistische Aufgaben zu konzentrieren. Du kannst schreiben, an politischen Zirkeln teilhaben, aber ohne Liebe kommst du im Leben nicht aus. Vor allem nach solch einer Niederlage.
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