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Pubertätswirren und Badeanzüge

■ André Téchiné zeigt Wilde Herzen im sturmerprobten Schilfrohr zwischen Anpassung und Auflehnung

Pubertätswirren in einer südfranzösischen Internatsschule der frühen 60er Jahre. Die Freunde Francois (Gael Morel) und Serge (Stephane Rideau) träumen beide heimlich von dem selben Mädchen. Doch die scheue Maité (Elodie Bouchez), ganz wohlerzogene Tochter der sozialistischen Literaturlehrerin Madame Alvarez (Michèle Moretti), denkt leider gar nicht daran, sich zu verschenken. Lieber träumt sie von Dornröschen und einer Flucht, ganz weit weg, in ein eigenes, selbstbestimmtes Leben. Ausgeträumt hat die junge Kommunistin, als der Algerienfranzose und Sympathisant der OAS Henri (Frédéric Gorny) in ihr Leben tritt. Sie hassen sich, sie lieben sich, und die Politik weicht den rauschenden emotionalen Wechselbädern.

Regisseur André Téchiné blickt in Wilde Herzen auch auf die eigene Jugend zurück und bleibt seinem großen Thema treu, dem Leben zwischen Anpassung und Auflehnung. Der 51jährige bewies zuletzt in Ich küsse nicht und Meine liebste Jahreszeit, daß er die psychologische Charakterzeichnung perfekt beherrscht. Für seine Reifeprüfung a la française zieht er nun alle Register: ein bißchen Brecht, ein wenig Bergmann, dazu ein tiefer Griff in die Schatztruhe der freudianischen Psychoanalyse inklusive Spiegelstadium und Vaterkomplex.

„Ich beuge mich, allein ich breche nicht“, heißt es beim Fabeldichter Lafontaine über das sturmerprobte wilde Schilfrohr. Les ro-seaux sauvages ist dann auch der französische Originaltitel, und mit der Kamera bleibt Téchiné immer im Schilfrohr. Lange Einstellungen auf pittoreske Landschaften zelebrieren die urwüchsige Ökonomie der Anpassung. Manchmal geht die Kamera auch ganz nah ran, und in Großaufnahme, ohne rot zu werden, darf etwa Maité Sachen sagen wie: „Leben ist Warten. Warten dauert lang.“ Dabei blickt sie so schön traurig in die Kamera, daß man ihr einfach vergeben muß. Inzwischen erproben Serge und Francois so etwas wie Verlegenheitshomosexualität. Keine große Sache für den Bauernsohn Serge, Pech für den zartfühlenderen Francois. Der ist wirklich schwul und muß jetzt an seinem Coming-out basteln. Allein, 1962 und in der Provinz. Man beneidet ihn nicht.

Téchiné begleitet seine jugendlichen Helden mit der gebotenen Sensibilität – er stellt dar, aber niemals bloß. Eine gehörige Portion Pathos allerdings ist immer mit von der Partie. Wenn sich im großen Finale am Ufer der Garonne die Jugend in die Fluten stürzt, ist das Schilfrohr ganz nah, und so manche Überzeugung geht mit ihnen baden. Die Sonne brennt, die Natur explodiert. Und es war Sommer...

Karin Midwer

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