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PsychotherapieGanz normal unglücklich

Therapeuten sollte man bewusst suchen, fordern Autoren von zwei neuen Ratgebern – bei einer Wohnung nehme man schließlich auch erst die, bei der man sich wohlfühlt.

So schlimm ist es gar nicht auf der Couch. Bild: photocase

BERLIN taz | Angeblich soll in Deutschland jede Dritte "psychisch gestört" sein. Geflügelte Worte aus den USA - übertragen ins Deutsche - bringen das so auf den Punkt: "Denken Sie an Ihre zwei besten Freundinnen: Wenn mit denen alles in Ordnung ist, dann stimmt mit Ihnen was nicht." Was hier als Witz daherkommt, wirft trotzdem ein Licht darauf, wie sich psychiatrische Diagnosen ausbreiten. Nach Zahlen der Techniker Krankenkasse bekommen pro Jahr jede dritte Frau und jeder sechste Mann die ärztliche Diagnose einer psychischen Störung.

Doch die Zeiten sind vorbei, als sich Leidende zu irgendeinem Psychotherapeuten schleppten, der gerade Termine frei hatte, und hofften, dass Behandler und Methode nicht ganz abwegig waren. "Vergleichen Sie es mit einer Wohnungssuche - da nehmen Sie auch erst die, bei der Sie sich wohl fühlen", rät die Wissenschaftsjournalistin Heike Dierbach. Die Chemie muss stimmen.

"Fast jede von einem professionellen Psychotherapeuten durchgeführte Behandlung wird eine deutliche Wirkung zeigen", schreibt der Psychiater Borwin Bandelow. Denn: "Das Sich-aufgehoben-Fühlen und die Hoffnung auf Besserung machen bereits den größten Anteil am Erfolg eines therapeutischen Gesprächs aus." Das sei die gute Nachricht. Offen bliebe allerdings, "wie spezifisch dieser Effekt ist und ob man es nicht noch besser machen kann", fährt der Göttinger Psychiater fort.

Bandelow hat die Wirksamkeitsforschung gesichtet. Der Effekt von Verhaltenstherapien ist, schreibt er, bei Depressionen und Angststörungen deutlich nachgewiesen. Bei den psychodynamischen Verfahren, wozu analytische und tiefenpsychologische Behandlungen zählen, gibt es ebenfalls positive Befunde. Allerdings finden sich bei Angststörungen nur vereinzelte Untersuchungen, die eine spezifische Wirksamkeit der Psychoanalyse belegen, führt Bandelow aus.

Doch der Graben zwischen Analytikern und VerhaltenstherapeutInnen ist heute längst nicht mehr so tief wie früher. Die Verhaltenstherapie umfasst "eine ganze Reihe verschiedener Therapieformen", erläutert Heike Dierbach, die selbst Psychologin ist. In vielen dieser Behandlungen forschen die Patienten auch nach schädlichen Mustern aus der Vergangenheit, um es in der Gegenwart besser zu machen. Sie lernen suggestive und imaginative Techniken, also aufbauende Gedanken oder rettende Bilder, um ihre Ängste zu bannen. Verhaltenstherapie ist heute mehr als nur das Üben von Liftfahren oder Einkaufen in überfüllten Supermärkten.

Bild: taz

Diesen Text und viele mehr finden Sie in der aktuellen vom 10./11. Juli 2010 – ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk.

Seelenheilung

Fremdhilfe: Auf Internetportalen findet man wohnortnahe Therapeuten oder Therapeutinnen mit Zusatzqualifikationen. Etwa über die Internet-Listen der örtlichen Kassenärztlichen Vereinigungen. Oder das Portal der Bundespsychotherapeutenkammer.

Selbsthilfe: Wer sich erst einen Überblick verschaffen will über psychische Probleme und Behandlungen, kann es mit folgender Neuerscheinung probieren: Borwin Bandelow: "Wenn die Seele leidet. Psychische Erkrankungen: Ursachen und Therapien", Rowohlt 2010.

Aufklärung: Unseriöse Psychotherapien und schlechte Behandler können schaden. Daher ist es wichtig zu wissen, dass man in der Therapie seinen Verstand nicht ausschalten muss. Die Wissenschaftsautorin Heike Dierbach erklärt die Gefahren: "Die Seelenpfuscher. Pseudo-Therapien, die krank machen", Rowohlt 2009.

In den tiefenpsychologisch fundierten Therapien wiederum wird auch nicht mehr auf der Couch liegend nach dem Sexproblem mit Mami geforscht. Stattdessen gräbt man beispielsweise lieber nach, woher denn eigentlich der Selbsthass kommt. "Im Vordergrund steht die Bewältigung eines aktuellen Konflikts, der aber auch in Bezug zu biografischen Erfahrungen gesetzt wird", erklärt Dierbach.

Der mündige Patient tut zudem außerhalb der kassenbezahlten Therapiestunden etwas für sich. Bandelow weist daraufhin, dass Sport Ängste lösen kann und auch bestimmte Meditationstechniken laut einer Studie manchen Depressiven halfen. Selbst zum Beten gibt es positive Befunde, jedenfalls bei religiösen Menschen.

Aufgeklärte PatientInnen sollten schlechte TherapeutInnen erkennen und vermeiden. Dierbach legt eine Liste der "No-nos" für BehandlerInnen auf: "Therapeuten dürfen in der Therapie nicht eigene Probleme besprechen", warnt die Autorin. Dies sei kein Zeichen davon, dass der Therapeut der Patientin besonders vertraue, sondern dass er sich selbst in den Mittelpunkt stelle. Abzuraten sei auch von Therapeuten, die "den Patienten abwerten oder verbal angreifen", ihm etwa vorwerfen, "schwierig zu sein", schreibt Dierbach.

Privat bezahlte Wochenend-Behandlungen, wo Patienten offensiv vom Therapeuten konfrontiert werden, um ihre Aggressionen oder Traumata heraufzuholen, gelten erst recht als umstritten. Dierbach bezeichnet sie als "Pseudo-Therapien". Berüchtigt war hier der "Familienaufsteller" Bert Hellinger, der es schaffte, einen durchaus sinnvollen therapeutischen Ansatz durch sein autoritär-esoterisches Gehabe zu ruinieren.

Ein seriöser Therapeut gibt Patienten zwar auch unbequeme Rückmeldungen, betont Dierbach. Aber er mache immer klar, dass es nur seine subjektive Sicht sei. Werden den Patienten hingegen offen oder subtil Schuldgefühle gemacht, weil die Behandlung nicht funktioniert, dann sollten sie gehen können. "Sie dürfen eine begonnene Therapie auch jederzeit beenden", ermutigt Dierbach.

Mehr Selbstbestimmung - das wollte letzlich auch Sigmund Freud. Das Ziel der Psychoanalyse bestünde darin, so der Wiener Arzt, die Menschen von ihrem neurotischen Unglücklichsein zu befreien, "damit sie ganz normal unglücklich sein können". Heute, wo das Positiv-Denken mitunter terroristisch verordnet wird, wirkt das wieder revolutionär.

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7 Kommentare

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  • EI
    Eine in Behandlung

    Ich danke für diesen Artikel. Ich bin in therapeutischer Behandlung, und denk seit längerem drüber nach, dass ich mit dem Psychologen nicht mehr klar komme. Nur dachte ich, ich kann ja nicht einfach gehen. Das wäre ja wie aufgeben, dachte ich.

     

    Nun, Ihr Artikel hat mir gezeigt, dass ich sehr wohl gehen kann, denn es wurde mir klar, dass er so ist, wie hier ein "No-Go"-Therapeut beschrieben wurde.

  • V
    VeraWera

    Danke für diesen Artikel!

    Vor langer Zeit, als ich sehr unglücklich war, habe ich mir mühevoll auch einen Psychotherapeuten gesucht. Ob die Chemie wirklich stimmte, konnte ich in meinem damaligen Zustand kaum beurteilen, weil bei mir gar nichts stimmte. Aber so ungefähr meinte ich, würde es mit dem Herrn schon gehen. Nur: nach der dritten Sitzung war sogar meinem depressiven Hirn klar: Das wird nichts und ich wollte abbrechen und mir jemand anderen suchen.

     

    Ich habe erst Jahre später erfahren, dass der Therapeut mich dann belogen hat, denn er sagte: "Ihre Krankenkasse hat 20 Sitzungen bewilligt (bzw. der normale Satz der gesetzl. KK, vielleicht sinds auch 22) und wenn Sie nach der 3. bei mir abbrechen, verfallen Ihre restlichen Sitzungen und Sie müssen 1 Jahr warten, bis Ihre KK Ihnen wieder eine Therapie bewilligt. Wir sollten das also durchziehen."

     

    Ich schreibe das hier als Kommentar, weil ich meine, dass vielleicht Leute diesen Artikel lesen, denen es ähnlich geht wie mir damals: Ich konnte mich gegen solche Informationen nicht wehren, ich war zu schwach, um bei der KK nachzufragen. Viel später dann habe ich einen befreundeten Prof für Psychotherapie genau danach gefragt und wie auch hier im Artikel steht sagte er mir: Man kann jederzeit abbrechen und eine neue Therapie woanders durchführen!

     

    Wenn man (wieder) gesund ist, kann man sich nicht vorstellen, wie schwer es psychisch stark belasteten oder erkrankten Menschen fällt, für sich selbst zu sorgen und die Therapie zu "managen". Man kann es durchaus vergleichen mit einem, der sich mit gebrochenen Beinen zum nächsten Krankenhaus schleppt.

  • A
    atypixx

    "Berüchtigt war hier der "Familienaufsteller" Bert Hellinger, der es schaffte, einen durchaus sinnvollen therapeutischen Ansatz durch sein autoritär-esoterisches Gehabe zu ruinieren."

     

    Gott, wie viel Unkenntnis aus einem einzigen Satz hervorquellen kann. Und vor allem wie viel Ver-Wirrung hierdurch für einen Hilfesuchenden entstehen kann!

     

    Lesen Sie doch z.B. mal (nur einige Seiten) von "Akzeptieren was ist" und schreiben Sie dann über Sachen, von denen sie zumindest ein wenig verstehen, Frau Dribbusch.

  • FL
    Fräulein Lu

    Erst das Wohlfühlen bringt die erhoffte Heilung. Da ist was dran.

    Nach fünf Jahren, 12 Therapeuten und mehreren Klinikaufenthalten habe ich den Richtigen gefunden. Doch musste ich fünf Jahre mit falschen Diagnosen und entsprechend falschen Behandlungen mich durch den Wust von Therapeuten wühlen. Dies bedeutete gleichzeitig mit jedem neuen Therapeuten eine neue Medikation und den verbundenen Nebenwirkungen. An allem wird rumgedoktert, nur zugehört wurde nicht. Fünf von den 12 Therapeuten rieten gleich nach dem ersten Gespräch einen Klinikaufenthalt. Ohne das sie mir wirklich zugehört haben. Grund : Keine Zeit, kein Platz, zu viele andere Patienten. In der Verzweiflung folgt man dann doch dem Rat und weist sich selber ein. Und da finden dann doch diese wunderbaren Übungen wie Lift fahren statt. Aber das Erste was man dort lernt : Schlucken. Schon am ersten Tag bekommt man die Standartmedikamente in den Rachen geschoben. Egal welches Krankheitsbild, erstmal rein damit. Runterkommen ist das Motto. Völlig zugedröhnt nimmt man dann an den Gruppentherapien teil, mit Leuten die ein völlig anderes Krankheitsbild haben. Drei Monate vegetiert man vor sich hin und wird danach entlassen. Hat es was gebracht? Nein!

    Auf zur neuen Therapie. Aber erstmal finden. Und jedes mal muss man kompakt innerhalb von 30 Minuten seine Lebensgeschichte erzählen. Nachdem man dann "aufgenommen" wird, heißt es noch lange nicht das man willkommen ist. Der eine Therapeut machte nach vier Sitzungen nicht mehr die Tür auf oder vergaß irgendwelche Termine. Ist natürlich besonders förderlich für das eigene Befinden und man fühlt sich richtig willkommen.

    Erst der "Supergau" meiner Psyche - ein Nervenzusammenbruch brachte mich zu meinem jetzigen Therapeuten. Bei dem ich mich wohl fühle, wo ich mich verstanden fühle und vor allem willkommen. Und er ist ein "einfacher" Arzt. Kein Psychologe, niemand der Psychologie studiert hat. Er ist einfach nur menschlich. Und das ist das das was man braucht. Das kleine Stückchen Menschlichkeit vom Gegenüber.

    Ich frage mich, muss das sein? Muss man erst unzählige Therapeuten und Abfertigungszentralen besuchen und es zu einem Nervenzusammenbruch schaffen , bis einem wirklich geholfen wird?

    Zu viele Therapeuten oder auch Psychologen haben diesen Titel den sie nicht verdienen!

     

    Übrigens bin ich erst 22.

  • EA
    ein anderer

    Verhaltenstherapien wirken nicht nur bei Depressionen und Neurosen, sondern auch bei bestimmten Arten psychotischer Angststörungen. Bzw., wenn es darum geht, das Selbstbewußtsein der Kranken wieder aufzurichten. Warum wird diese Krankheit eigentlich immer noch marginalisiert und/oder tabuisiert? Sind denn Neurosen und Depressionen die einzigen gesellschaftlich akzeptierten psychischen Störungen?

     

    @kerstinsnichte: Schuldeinsicht und Mitarbeit/Compliance sind die Grundvoraussetzungen dafür, daß der Kranke in der Forensik wieder einigermaßen gesund werden kann. Ohne diese kann ihm nicht geholfen werden.

     

    Stichwort Freud: Dieser war mehr Philosoph als Psychoanalytiker. Die heutige psychologische Forschung arbeitet mit Zahlen, Daten, Statistiken, Fragebögen.

  • B
    broxx

    @kerstinsnichte

    klar...soll ja auch so sein. Massiv Schuldgefühle sollten die auch haben.

  • K
    kerstinsnichte

    Die hier geforderte Akzeptanz des Patientenwillen wird aber in der Forensik überhaupt nicht praktiziert. Da wird den kriminellen Patienten massiv Schuldgefühle bezüglich ihrer Taten verschafft. Da verwundert es nicht, daß die dort untergebrachten Patienten es mit der Lüge versuchen.