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Prêt-à-porterSchimmernde Seidenkleider

■ Lagerfeld gab sich ungewohnt bescheiden / Etuden zur Jacke

Wenn man sich so ansieht, mit welch aristokratischer Allüre aus den Standing-Reihen einzelne herausgepickt und vorzeitig eingelassen werden, fragt man sich, wozu eigentlich die Französische Revolution gut war. Als der Kameramann von CNN Einlaß in den Vorführsaal begehrte, wurden die Bodyguards von Claude Montana offensichtlich etwas grob. Sämtliche Fotografen verließen daraufhin heftig protestierend den Saal.

Frieden dann wieder bei Chanel. Karl Lagerfeld gab sich ungewohnt bescheiden und zeigte eine Etude. Wieviele Formen kann eine Jacke haben? Lagerfeld, so schien es, hatte alle im Programm. Es gab fast nichts als Röcke und Kostüme. In jeder Form und verschiedenen Themen zugeordnet. Zuerst schmale, knielange, enggeschnittene Kleider und gerade, oberschenkellange Jacken, die nicht geknöpft, sondern vorne zusammengehalten wurden. Als ginge eine Studentin in den späten 50er Jahren morgens aus dem Haus, es weht ein kühler Wind, so daß sie ihre Jacke fest um sich wickelt. Dann kamen schmale schwarze Röcke aus Strick oder einem anderen dehnbaren Material mit taillierten Jacken, die durch leichte Abwandlungen entweder glamourös oder streng wirkten, je nachdem, wie viele Taschen sie hatten, was für eine Kragenform, oder aus was für einem Material sie waren. Der reine Liszt.

Der Vorführraum von Yohji Yamamoto liegt nahe dem Centre Pompidou in der Rue Martin. Es ist ein riesiges Atelier, in dem die neue Kollektion ringsum an der Stange hängt. Nur die Abendkleider sind nahe dem Eingang auf Schneiderpuppen drapiert. In der Mitte des Raums stehen Tische, an denen die Einkäufer mit dem Personal verhandeln. Trotz der geschäftigen Atmosphäre ist es sehr ruhig. Ich setze mich hin und sehe mir das Video an. Zuerst fast nur schwarze Mäntel. Von vorne sehen sie aus wie ein Mantel eben so aussieht, hinten hat Yamamoto die Schere angesetzt und den Stoff etwas unter der Taille abgeschnitten, so daß man das schimmernde, in große Falten gelegte Seidenkleid sehen kann. Die Seitenteile sind häufig aus einem anderen Material und schwingen beim Gehen leicht hin und her. Bei anderen Mänteln sind Vorder- und Rückenteil in der Taille durch einen gut zwei Finger breiten Riegel verbunden. Der Rücken ist bis zur Mitte bedeckt, dann verengt sich der Stoff zu einem schmalen Streifen, der Ober- und Unterteil verbindet. Die hinteren Seiten sind offen, und die Ärmel von der Achsel bis zum Ellbogen aufgeschlitzt. Das Unterteil des Mantels ist auf der Rückseite in Taillenhöhe in Falten gelegt, die an der Taille wie kleine Tüten abstehen. Dann fällt der Stoff in schweren Falten nach unten. Als ich mir den Mantel später aus der Nähe besehe, zeigt sich, daß man ihn wenden und auch von der anderen Seite tragen kann. Dann bilden die Tüten eine Art Puff, so daß es aussieht, als trüge man eine Turnüre. Die Mäntel gibt es aus verschiedener Wolle: Einer ist so weich wie Kaschmir, ein anderer aus Wollgabardine, und ein dritter aus einer Wolle, die so oft gewaschen wurde, daß sie wie Filz aussieht. Die Mäntel

sind meist schwarz, und die Nähte sind zum Teil ungesäumt, aber sie sehen aus wie prachtvolle große Roben. Ähnlich die Abendkleider. Sie kommen daher wie Turnürenkleider aus dem 19. Jahrhundert, mit kleinen Abänderungen, die vermutlich auch die extravaganteste Kokotte abgelehnt hätte. So besteht etwa ein Oberteil aus einem gerippten schwarzen Rollkragenpullover. Die Röcke sind vorne gerafft, so daß sich der Stoff bauscht, und hinten wie die Mäntel in Tüten gelegt. Das turnürenartig betonte Hinterteil entsteht durch ein Inlett aus einem sehr steifen – ich habe kein Lexikon hier, ich glaube, es ist ein Organzastoff. Jedes dieser Kleider bewegt sich anders: die schweren ruckartig mit jedem Schritt, die leichteren sanft hin und her schwingend. Bei den Schleppen der Seidenkleider ist der Stoff doppelt gelegt, so daß er sich beim Gehen mit Luft füllt und anmutige Wellen wirft. Ich weiß nicht, wie er das macht, aber jeder dieser Bewegungen haftet etwas Schwermütiges an. Und das kann er doch unmöglich mitgeplant haben, oder?

Anja Seeliger

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