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■ Prêt-à-porterSo sexy verschwitzt am Abwaschbecken

Lange Gesichter bei Chanel. Ausweiskontrolle! Diesmal wurde tatsächlich überprüft, ob der Name auf der Einladungskarte mit dem Personalausweis übereinstimmte (was natürlich ziemlich häufig nicht der Fall war). Diese Maßnahme war wegen der Bombendrohungen in Paris schon zu Beginn der Schauen angekündigt worden. Aber nur am Donnerstag bei Chanel wurde sie tatsächlich durchgeführt. Lagerfeld hatte vor zwei Jahren ein Bustier mit arabischen Schriftzeichen bedruckt. Wie sich später herausstellte, war es ein Spruch aus dem Koran. Der Vers prangte auf einem Foto praktisch quer über dem Busen von Claudia Schiffer, was dem Islam wahrscheinlich in drei Tagen mehr Anhänger einbrachte als die Aktivitäten der Hisbollah in den letzten zehn Jahren. Nach den ersten Protesten ließ Lagerfeld das Bustier einstampfen.

Auf dem Laufsteg dann ein riesiger blauer Globus, auf dem die Kontinente in Bronze aufgemalt waren. Kleine blinkende Lichter markierten die großen Städte. Als es dunkel wurde im Saal, schimmerte der Globus wie eine magische Kugel, dann öffnete er sich langsam und heraus spazierte – Claudia Schiffer. Angetan mit einer schmalen beigen Baumwollhose und einer weiten, hüftlangen rosa-weiß-karierten Chanel- Jacke. Wären da nicht die Farben, könnte sie glatt als Wanderjacke durchgehen. Wie in seiner Winterkollektion zeigte Lagerfeld die Jacke in praktisch jeder erdenklichen Variation. Der Laufsteg wurde überschwemmt mit Mädchen in Chanel-Jacken. Und so ging es weiter: Eine Flut pastellfarbener Kinderkleider, deren enganliegendes Oberteil geknöpft und mit einem kleinen Kragen versehen war, mit einem Taillenband in der Mitte und kurzen glockigen Röcken.

Und nicht zu vergessen die Mikrobikinis! Zwei dünne Bänder und zwei winzige schwarze Stoffkreise, die knapp die Brustwarzen bedeckten. Das Chanel-Logo paßte gerade noch drauf. Nach fünf Minuten herrschte heilloses Chaos auf dem Laufsteg, die Fotografen schimpften wie die Rohrspatzen, und der überwältigte Zuschauer hätte dem Designer gerne zugerufen: Schon gut, Karl. Wir haben begriffen. Der Globus – die Welt — überschwemmt mit Chanel-Kleidern – Erbarmen! Aber Lagerfeld war gerade nicht in Rufweite. Anzüge und Kleider aus weißem Satin beendeten das Treiben schließlich, und zu den donnernden Klängen der Marlboro-Werbung kam Lagerfeld auf die Bühne. Er hat inzwischen starke Ähnlichkeit mit einer rundlichen Hausfrau. Aber den Fächer wedelt er sehr zierlich. Die Marlboro-Musik – Freiheit, Weite, Abenteuer – hatte ich schon einmal gehört, bei Comme des Garçons. Kawakubo hatte dazu lange, unförmige Gewänder gezeigt, die starke Ähnlichkeit mit einem Tschador hatten. Nur daß sie aus einem Blümchenstoff waren, wie ihn Mütter in den 70er Jahren aus praktischen Gründen gern unten an die Jeans nähten. Zu diesen Kleidern gehörte ein großes Tuch, das tief auf der Stirn saß, Haare, Hals, Schultern und Oberkörper bedeckte und in Ärmeln endete.

Ein Kleid von Helmut Lang läßt sich Gott sei Dank kurz beschreiben. Es ist gerade. Man nennt das Minimalismus. Seine langen Kleider waren aus einer einfachen Spitze, wie sie häufig die billigen halterlosen Strümpfe abschließen. Manche Kleider sahen aus wie einfache Unterröcke. Dazu rote blickdichte Strumpfhosen und Sandalen, die bis zum Knie geschnürt waren. Es sind sehr einfache Kleider, aber Langs Modelle haben oft den Sex einer leicht verschwitzten Hausfrau. Als hätte sie sich beim Saubermachen so erhitzt, daß sie ihr Kleid ausgezogen hat. Jetzt steht sie im Unterrock am Abwaschbecken, und ich stelle mir vor, daß ihre Haut feucht glänzt und zwei kleine Schweißperlen den Hals entlang zwischen die Brüste rinnen. Anja Seeliger

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