Prêt-à-porter: So viel Frieden war nie
■ Heute beginnen in Paris die Prêt-à-porter-Schauen. Vorab ein kurzer Überblick über den Stand der Dinge in London und Mailand
London ist zur Zeit unwahrscheinlich angesagt. Die Stadt boomt, die offizielle Arbeitslosenquote ist halb so hoch wie in Deutschland. Im Bereich der Jugendkultur übernehmen die Jungen den Laden, wie sie es zuletzt Ende der 70er getan haben. Neue Zeitschriften, neue Designer, neue Künstler – und Vanity Fair widmet den erfolgreichen jungen Leuten aus London in seinem Februarheft eine große Geschichte.
Und was war nun der Schlager bei den Modeschauen in London? Punk. Hautenge durchlöcherte Lederkostüme, zerfetzte Säume und Models mit aufgeschminkten Narben und blauen Flecken bei Antonio Berardi. Kostüme aus Kuhhaut oder zerschnittenem Leder vor brennenden Autowracks, Glasaugen als Accessoires und Frisuren, die wie mit Speichel verklebte Vogelnester am Kopf saßen bei Alexander McQueen. Punk also. Ich erinnere mich gut daran.
Natürlich ist diesmal alles etwas anders. Hier reüssiert niemand, der nur einen Knopf annähen kann. Vom Herald Tribune bis zum Figaro lobte die internationale Presse die tadellosen Fertigungstechniken der jungen Wilden. Und statt einer von Sicherheitsnadeln durchbohrten Queen prangte über allem der Union Jack: Clements Ribeiro schickte Naomi Campbell in einem Sweatshirt auf den Laufsteg, das mit der Nationalflagge bedruckt war. Eins der Spice Girls sang in einem Kleid mit Union-Jack-Muster, und die amerikanische Schauspielerin Chloe Sevigny („Kids“) eröffnete die Schau von People Corporation, indem sie in Netzhosen durch einen Union-Jack- Vorhang stürmte. Viel gelobt wurden auch die Kaschmirpullover von Lainey Keogh, die den Figaro an die guten alten Tage des Twinsets tragenden Establishments erinnerten. Und schließlich wollen wir nicht vergessen, daß Alexander McQueen im letzten Jahr mit 27 Jahren eines der größten Haute-Couture- Häuser in Paris übernommen hat. Punk? So viel Frieden mit dem System war nie.
Spice Girl im Union Jack Foto: „Der Spiegel“
Die Zeichen stehen nicht auf Rebellion, sondern auf Geldmachen! Gestern meldete die Herald Tribune, daß drei der größten italienischen Wirtschaftsimperien zusammengehen wollen: Fiat, Mediobanca und die Marzotta- Bekleidungsgruppe. So soll ein Wirtschaftskonglomerat entstehen, das fünf Milliarden Dollar im Jahr umsetzt. Dazugehören werden unter anderen die Fabrikanten von Boss, Armani, Ferre, Valentino und Fila. Den besten Riecher hatte in dieser Saison eindeutig Tom Ford, Chefdesigner von Gucci. Vor einigen Tagen verursachte er bei den Mailänder Schauen ein großes Hallo, als er seine Models im Powerdress auf den Laufsteg schickte: komplett mit Schulterpolstern, Stiletto-Absätzen und kurzen Röcken. „Die Stimmung ist doch wieder ziemlich wie in den Achtzigern“, sagte Tom Ford nach seiner Schau. Wohl wahr. Auch der Boom in London ist letztendlich das Ergebnis der Wirtschaftspolitik der verhaßten Margaret Thatcher. Anja Seeliger
Ab morgen berichten wir täglich von den Prêt-à-Porter-Schauen in Paris
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