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Prêt-à-porterReplikantenmode

■ Gepreßte Brüste, Körper zu Sanduhren und Klassisches von Margiela bei Hermes

Anruf bei Chanel: „Wer? Monica Lewinsky? Klar finden wir einen Platz für Sie!“ Fröhliches Händereiben bei Chanel – bis sich herausstellte, daß die Anruferin eine 18jährige Popsängerin namens Monica war. Wie Womens Wear Daily berichtet, will Chanel ihr für die Schau dennoch einen Platz in der ersten Reihe reservieren.

Wer Lewinskys sexuelle Techniken nicht so inspirierend fand, sollte sich mal die Kleider von Olivier Theyskens, 21, ansehen. Da geht es um eine Art von Sex, von der ich noch nie gehört habe. Ein Mädchen schritt mit flatternden schwarzen Hosen über den Laufsteg. Die Brüste trug es nackt. Dafür war das Dekolleté mit einem Schultercape aus schwarzem Leder verhüllt. Die nächste trug zwischen Hosen und Schultercape ein Korsett, das ihre Brüste flachdrückte und den Körper in die Form einer Sanduhr preßte. Die Mitte war beängstigend schmal, gleichzeitig war das fleischfarbene Leder dick und steif – dieses Korsett formte den Körper nicht, es schien ihn zu ersetzen. Eine Prothese!

Eine ganz neue Spezies schritt an den Zuschauern vorbei: Replikanten mit menschlichen Armen und Beinen oder Menschen mit künstlichem Oberkörper. Es gab gut verkäufliche Anzüge, rauschende Ballkleider aus zitronenfarbener und schwarzer Seide (eines hatte am eng anliegenden Oberteil zwei Schlitze, durch die das weiße Fleisch als Kreuz durchschimmerte) und wundervolle Tageskleider aus karierter Seide mit schwingenden Röcken. Aber dazwischen erschienen immer wieder die seltsamsten Wesen. Ein Model steckt in einem schwarzen Catsuit, eine Art Ganzkörperanzug. Er umschloß ihren Körper hauteng – nur der Hosenboden hing bis zur Mitte der Oberschenkel. Und dann gab es Haare! Meist waren sie als lange gewundene Strähnen auf prächtige Abendkleider genäht. Zwischen diesen Ballschönheiten schritt ein Model in einem hautfarbenen Catsuit. Auf der Rückseite waren die Haare wie bei den Ballkleidern in Strähnen drapiert. Aber vorne! Keine Strähnen, sondern zerzauste Haarbüschel, die auf den Rippen klebten wie ein räudiger Pelz. Noch nicht fertig mutiert, Teuerste? Der einzige Schwachpunkt waren die Jacken. Obenrum waren sie plustrig weit, unten klemmten sie sich eng um die Hüften.

Theyskens Kollektion war wild, aber die von Hermes war einschüchternd. Martin Margiela, der seit einem Jahr für Hermes arbeitet, bot ausschließlich Klassisches: Herrenhosen, weiße Hemden, Ledermäntel mit verdeckter Knopfleiste und ohne Kragen, fast gerade geschnittene, lose fallende Jacken. Schlucken ließ einen, welcher Luxus hier an Material und Verarbeitung geboten wurde. Man sah den Stoffen an, daß sie hundert Jahre halten.

Neue Kleider sind oft häßlich – weil sie neu sind. Yamamoto hat zur Zeit ein blaues Wollkostüm in seinem Geschäft hängen, das aussieht, als wäre es zehn Jahre alt und jeden Tag getragen worden. Yamamoto liebt diesen Abdruck von Zeit, aber es sind künstliche Spuren des Getragenen. Man kann eigentlich selbst nichts mehr hinzufügen. Was so individuell aussieht, läßt dem Individuum in Wirklichkeit keine Chance, sich das Kleidungsstück zu eigen zu machen. Es ist ein sehr schönes Kostüm, gemacht für Käufer, die keine Zeit haben zu warten.

Die Kleider von Hermes werden erst wirklich schön sein, wenn sie zehn Jahre getragen worden sind. Vorausgesetzt, man bringt den Mut auf, diese Kleider überhaupt zu tragen. Wer würde es wagen, diese makellosen weißen Hemden zu zerknittern oder diese Ledermäntel dem Risiko eines Schmutzflecks auszusetzen. Anja Seeliger

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