Prozess zum Anschlag in Wehrhahn: Ein Neonazi gibt das Opfer
17 Jahre nach dem Anschlag auf eine Düsseldorfer S-Bahn-Station steht ein Rechtsextremer vor Gericht. Und erklärt sich für unschuldig.
Um 15.03 Uhr explodierte dort per Fernzündung eine selbstgebastelte, mit TNT gefüllte Rohrbombe. Opfer waren SchülerInnen einer nahe gelegenen Sprachschule. Sie stammten aus der ehemaligen Sowjetunion, sechs von ihnen waren jüdischen Glaubens. Die Metallsplitter der Bombe flogen mehr als 100 Meter weit, verletzten zehn Menschen, manche davon schwer. Eine damals 26-Jährige verlor ihr ungeborenes Kind und musste notoperiert werden: Der heimtückisch in einer Plastiktüte versteckte Sprengsatz hatte ihr einen Fuß abgerissen. Auch ihr 28-jähriger Ehemann schwebte tagelang in Lebensgefahr.
Ralf S. aber will mit dem Anschlag nichts zu tun haben. „Nee, das bin ich nicht“, antwortet er beim Prozessauftakt auf die Frage des Richters Rainer Drees, ob er der Täter sei. Und nein: Er wisse auch nicht, wer hinter dem Mordversuch stehe. Zumindest optisch wirkt der 51-Jährige nicht wie das Stereotyp eines Neonazis: S. ist klein, schmächtig, gibt eher den Rockabilly. Seine Haare hat der frühere Chef des Düsseldorfer Opel-Manta-Fanclubs vorn zur Elvis-Tolle geformt, dazu trägt er eine schwarze Kunststoffbrille.
Am Körper aber soll S. ein Hakenkreuz-Tattoo tragen. In seinem Stadtteil war er als rechtsradikal bekannt, als „Sheriff von Flingern“ patrouillierte er mit einer Rottweiler-Schäferhund-Mischung durch die Straßen. Schon 2000 war der gelernte Maler deshalb schnell ins Visier der Ermittler geraten. Sein Militarialaden, gegen den die Antifa schon vor der Eröffnung protestierte, lag in der Nähe der S-Bahn-Station Wehrhahn.
Schlampige Arbeit des Staatsschutzes
Doch auch nach vorübergehender Festnahme, stundenlangen Verhören und folgender Überwachung ließ sich der Verdacht gegen ihn nicht erhärten: In seiner Wohnung fanden sich keine Spuren von Sprengstoff. Offenbar lag das auch an der schlampigen Arbeit des Staatsschutzes, der als Erster bei S. war: „Durchsuchung würde ich das nicht nennen“, sagte Dietmar Wixfort, der die Mordermittlungen leitete, im NRW-Landtag. Der Besuch des Staatsschutzes bei dem Rechtsextremen habe eher den Charakter eines „Stubendurchgangs“ gehabt.
Nach 17 Jahren vor Gericht gebracht hat sich S. selbst. Er habe „an einem Bahnhof Kanaken weggesprengt“, soll er einem Mitgefangenen im Knast erzählt haben, als er wegen einer nicht bezahlten Geldbuße von 2.000 Euro einsaß. Erst dadurch geriet S. wieder ins Visier der Ermittler, die dann alte Akten wälzten, noch mal Zeugen vernahmen. Am 31. Januar 2017 nahm ihn ein Spezialkommando fest.
Doch S. hält sich für clever. Völlig ungewöhnlich in einem Mordprozess äußert sich der Angeklagte schon am ersten Prozesstag ausführlich. Stundenlang beantwortet er die Fragen des Richters – an den Tattag aber kann er sich kaum erinnern. Vielmehr gibt er das unschuldig vom Verfassungsschutz verfolgte Opfer: Nur wegen der Anschlagsvorwürfe habe er keine Jobs bekommen, sei deshalb chronisch pleite gewesen.
In mitgeschnittenen Telefonaten, die an einem der folgenden 36 Verhandlungstage abgespielt werden dürften, soll der Unteroffizier der Reserve dagegen selbst über die Tötung des Kindes im Mutterleib Witze gemacht haben: „Nur Abtreibung“ sei das gewesen. Der Tod des Ungeborenen ist strafrechtlich nicht verfolgbar. Wegen des zwölffachen Mordversuchs an Lebenden droht Ralf S. aber eine lange Haftstrafe – bis hin zu lebenslangem Gefängnis.
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