Prozess wegen Neonazi-Warnplakaten: Schlappe für die Staatsanwaltschaft
Das Amtsgericht Tiergarten hat zwei Antifas freigesprochen, die in Neukölln vor Nazis warnten. Die Anklage fiel im Prozess in sich zusammen.
Doch aus einem Schuldspruch wurde nichts: Das Amtsgericht Tiergarten sprach die beiden Angeklagten nach kurzer Verhandlung am Mittwochvormittag frei. Der Richter sagte am Ende der zweistündigen Verhandlung: „Ich bin nicht der Meinung, dass das hier ein Verfahren hätte werden sollen. Freispruch ist das einzig Richtige. Ich wünsche Ihnen alles Gute.“
Der Richter sah gleich mehrere Gründe für den Freispruch: Erstens seien die aufgestellten Behauptungen auf dem Plakat laut der Beweisführung der Verteidigung wohl richtig – Sebastian T. sei Neonazi und gewaltbereit. Zweitens konnte nicht einmal erwiesen werden, dass die Angeklagten die Plakate geklebt hätten. Die widersprüchlichen Aussagen der Zivilpolizisten, die die Angeklagten damals aufgegriffen und ihre Personalien aufgenommen hatten, konnten zu keinem Tatnachweis führen.
Besonders absurd war, dass die Polizisten selbst offenbar kaum verstanden, warum sie in dieser Sache aussagen sollten. Nicht nur waren ihre Angaben nach drei Jahre ungenau, sie schenkten dem Vorfall auch damals schon wenig Beachtung. Und erstatten auch keine Anzeige: Einer sagte: „Wir haben in dem Moment keine Straftat erkannt.“ Auf eine Anklage wegen Ehrverletzung oder Urheberrecht „wär ich im Leben nicht gekommen“, sagte ein Polizist, der damals offenbar verdeckt wegen einer anderen Sache ermittelte – „für uns war das kein richtiger Fall.“
Berlins eifrig gegen Links ermittelnde Staatsanwaltschaft
So ist es offenkundig der Staatsanwaltschaft zu verdanken, dass in der Sache dennoch drei Jahre lang ermittelt und schließlich Anklage erhoben wurde. Laut der linken Initiative Neukölln Watch, die wohl auch Einblick in die Akten hat, ist es im Zuge der Ermittlungen sogar zu Hausdurchsuchungen bei den nun freigesprochenen Personen gekommen.
Rechte Anschlagsserie Seit Ende 2016 ermitteln die Behörden erfolglos in einer auf Neukölln zentrierten Anschlagsserie. Über 70 Brandanschläge, Sachbeschädigungen und Drohungen werden der Serie zugerechnet.
Undichte Stellen Neben den jüngst bekannt gewordenen Verdacht auf Befangenheit in der Staatsanwaltschaft gibt es auch Hinweise auf Versagen bei Polizei und Verfassungsschutz: So wurde Linken-Politiker Ferat Kocak vor einem drohenden Brandanschlag im Februar 2018 auf sein Auto nicht gewarnt, obwohl konkrete Hinweise auf die Planung vorlagen. Ebenso teilte ein Berliner Polizist Interna mit einem der Beschuldigten in einer Telegram-Chatgruppe der AfD Neukölln.
Auch sei die Staatsanwaltschaft direkt an den Neonazi Sebastian T. herangetreten, um ihn zu einer Anzeige zu bewegen. Eine Ehrverletztung habe aber nicht einmal dieser selbst in den Plakaten erkannt, wie die Verteidigung in der Verhandlung mit Berufung auf dessen Anzeige betonte.
Schlechteres Timing konnte die Verhandlung für die Staatsanwaltschaft eigentlich nicht haben: Ermittelt und Anklage erhoben hatte die für politische Delikte zuständige Abteilung der Staatsanwaltschaft, deren Leiter F. und ein ermittelnder Staatsanwalt gerade vergangene Woche wegen des Verdachts auf Befangenheit und mutmaßlicher AfD-Nähe versetzt wurden – das hatten Indizien aus den Ermittlungsakten in der Neuköllner Anschlagsserie ergeben (taz berichtete).
Der Verdacht ist insbesondere deshalb brisant, weil die Ermittlungen in der Serie seit Ende 2016 keine Erfolge vorzuweisen haben. Oberstaatsanwalt F. galt zudem auch innerhalb der Behörde mindestens als rechtskonservativ, in der linken Szene war er dafür berüchtigt, jede Bagatelle hart zu verfolgen.
Mangelnde Aufklärung im Neukölln-Komplex
Lukas Theune, Verteidiger einer der Angeklagten, sagte nach dem Verfahren: „Die Staatsanwaltschaft hat keine Erfolge in den Ermittlungen zu der rechten Anschlagsserie vorzuweisen und klagt stattdessen Antifaschisten an.“
Die Freigesprochenen hatten anfangs in einer Erklärung einige der über 70 Straftaten der Anschlagsserie, die mutmaßlich auf T.s Konto gehen, aufgezählt und mangelnde Aufklärung beklagt. Das Problem seien dabei auch Behörden wie Staatsanwaltschaft und Polizei und Geheimdienst. Antifaschistischer Selbstschutz wie die Warnung vor Nazis auf Plakaten sei deswegen notwendig, so einer der später Freigesprochenen. Auch eine Kundgebung vor dem Amtsgericht hatte vor Prozessbeginn die Aufklärung der rechten Anschlagsserie gefordert.
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