Prozess um S-Bahn-Schläger: Brunner starb an Herzversagen
Eine spektakuläre Wende im Prozess zum Tod Dominik Brunners. Er starb an einem Herzstillstand, nicht an den Schlägen. Der Mordvorwurf gegen die Jugendlichen wackelt.
MÜNCHEN taz | Dominik Brunner ist an einem Herzversagen gestorben und nicht an den Verletzungen durch Schläge und Tritte. Das berichteten am Wochenende Münchner Merkur und Spiegel. Der fünfzigjährige Manager Brunner war am 12. September 2009 am Münchner S-Bahnhof Solln von zwei Jugendlichen schwer verprügelt worden und anschließend gestorben. Derzeit läuft am Münchner Landgericht der Prozess gegen Sebastian L. (18) und Markus S. (19). Die Anklage lautet auf Mord. Ein Vorwurf der sich nach den neuen Enthüllungen nur noch schwer aufrechterhalten lässt.
Besonders brisant: Dass Brunner an Herzversagen gestorben ist, war der Staatsanwaltschaft offenbar bekannt. Ebenso, dass Brunner an einem vergrößerten Herzmuskel litt. Doch die Staatsanwälte verschwiegen sowohl den Herzfehler als auch die eigentliche Todesursache. In der Anklageschrift steht nur, Brunner sei "an den Folgen des Angriffs" gestorben. Die Täter hätten Brunner 22 schwere Verletzungen zugefügt. Doch nun ist klar: Tödlich war keine der Verletzungen.
Die Staatsanwaltschaft hält trotz der Enthüllungen an ihrem Mordvorwurf fest. "Herr Brunner ist in Folge der Tritte und Schläge daran gestorben, dass das Herz stehen geblieben ist", sagt Oberstaatsanwältin Barbara Stockinger. Es sei eine klare Kausalität zwischen den Schlägen und Verletzungen gegeben. Ob das vergrößerte Herz Brunners als Herzfehler zu werten ist, könne sie nicht beurteilen, so Stockinger. Diese Frage, ob ein Herzfehler mit zum Tod Brunners beitrug, könnte aber in der Verhandlung eine entscheidende Rolle spielen. Schließlich wirft die Staatsanwaltschaft den Jugendlichen vor, Brunner mit Absicht "aus niedrigen Beweggründen" getötet zu haben.
Nach vier Verhandlungstagen gibt es zudem bereits zahlreiche Widersprüche zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft. Da ist etwa die Aussage der Zeugin Daniela H. Sie hat fast die gesamten Ereignisse vor Brunners Tod beobachtet. Die Angeklagten Sebastian L. und Markus S. hatten zusammen mit ihrem Freund Christoph T. am S-Bahnhof Donnersberger Brücke vier Schüler bedroht und Geld von ihnen gefordert. Daniela H. sprach die Angreifer an. Die ließen von den Schülern ab. Christoph T. verabschiedete sich und stieg in eine S-Bahn.
"Die Situation hatte sich entspannt", erinnert sich Daniela H. In der S-Bahn nach Solln ging der Streit zwischen Markus S., Sebastian L. und den Schülern weiter. Daniela H. sah Dominik Brunner aufspringen und mit der Polizei drohen. Sie habe die Situation nicht so dramatisch eingeschätzt, so H. In Solln habe Brunner gleich nach dem Aussteigen Jacke und Tasche weggelegt und sei in Angriffsstellung gegangen. "Er rief zum S-Bahnfahrer: ,Jetzt gibts Ärger' ", erinnert sich die Zeugin. Dann habe Brunner in Richtung Markus S. und Sebastian L. geschlagen und getreten. Eine andere Frau in der S-Bahn habe die Szene mit den Worten kommentiert. "Ui, jetzt geht der auf die Jugendlichen los."
Dass Brunner zuerst zugeschlagen habe, davon geht auch die Staatsanwaltschaft aus. Brunner habe jedoch damit nur einen Angriff abwehren wollen. Doch auch Marcel L., einer der vier Schüler, die Brunner beschützt hatte, sagt aus, Brunner habe gerufen: "Ihr wollt es nicht anders."
Die Zeugenaussagen entlasten den zweiten Angeklagten Sebastian L. Nach ihnen kamen fast alle schweren Tritte von Markus S. Der zweite Angeklagte, Sebastian L., habe zwar auch am Anfang auf Brunner eingeschlagen, als der aber zu Boden ging, mit dem Kopf auf ein Metallgeländer stürzte und benommen liegen blieb, habe L. sich zurückgehalten. Markus S. trat mit voller Wucht auf Brunners Kopf.
Eine Schülerin sagte aus, Sebastian L. habe vergeblich versucht, seinen Freund wegzuziehen und gesagt: "Das wird zu krass. Komm, gehen wir." Für die Verteidigung ist der Mordvorwurf zumindest gegen Sebastian L. nach einer Woche Verhandlung kaum mehr zu halten. Die Todesursache Brunners, der Herzstillstand, soll erst an einem der letzten Verhandlungstage Thema werden. Dann sagt der medizinische Gutachter aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt