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Prozess um Mord in TemplinTrinken, treten, töten

In Neuruppin stehen zwei junge Männer vor Gericht. Sie sollen nach gemeinsamer Zecherei Bernd K. totgeschlagen haben. Die beiden Angeklagten gehören der rechten Szene an.

Unter Neonazis beliebt: der Angeklagte Sven P. hat eine Odals-Runde auf die Hand tätowiert. Bild: ap

DER FALL

Die Tat: Am 21. Juli 2008 wird im brandenburgischen Templin der 55 Jahre alte Bernd K. ermordet. An dem Toten findet die Polizei zahllose schwere Verletzungen, auf seinem Körper

liegt verbrannter Müll. In der Werkstatt stellen die Beamten Blutspritzer bis in 1,60 Meter Höhe fest.

Die Anklage: Vor dem Landgericht Neuruppin wird seit Januar gegen Sven P., 19, und Christian W., 22, wegen gemeinschaftlichen Mordes verhandelt (AZ 21Kls 326 Js 22868/08). Die beiden polizeibekannten Rechtsextremen sollen Bernd K. getötet haben. Beide verweigern die Aussage.

Das Strafmaß: Sollte das Gericht auf Mord erkennen, würde wohl für Sven P. das Jugendstrafrecht gelten; das wären bis zu 10 Jahre Haft. Christian W. hingegen droht lebenslange Haft. Das Urteil wird für Dienstag erwartet. AM

Als der Morgen dämmerte, hatten die Mörder Appetit auf Spinat mit Ei. In der Nacht zuvor hatten Christian W. und Sven P. einen Menschen getötet. Schwere Arbeit, die hungrig macht. Stundenlang hatten die beiden Bernd K. misshandelt, ihn geschlagen und gewürgt, ihm das Gesicht zertreten, ihn mit abgebrochenen Bierflaschen traktiert und schließlich versucht, ihn anzuzünden. Als das Opfer am nächsten Tag in seiner Templiner Werkstatt gefunden wird, sind überall an den Wänden Blutspritzer, auf dem Körper des Toten findet die Polizei verkokelten Müll.

Es ist eine grauenhafte Tat, die hier vor dem Neuruppiner Landgericht verhandelt wird. Auf der Anklagebank sitzen der 19 Jahre alte Sven P. und Christian W., 22. Sie sind angeklagt, im Juli letzten Jahres Bernd K. getötet zu haben. Sie kannten ihr Opfer. K., 55, war in den letzten Jahren arg ins Straucheln geraten. Alkohol spielte irgendwann die Hauptrolle in seinem Leben, Frau und Töchter, der Job in einer Baufirma liefen nur noch nebenbei und waren schließlich ganz weg. Aus dem Familienvater Bernd K. wurde der stadtbekannte Trinker "Stippi", der, wenn er genug hatte, in einer geerbten Werkstatt an der alten Templiner Stadtmauer seinen Rausch ausschlief. Dort haben ihn schließlich auch die beiden Kleinstadtnazis Sven P. und Christian W. getötet. "Ich wollte mal sehen, wie ein Mensch stirbt", soll P. nach der Tat gesagt haben.

Scheinbar ungerührt lauschen die Angeklagten während der Verhandlung den Ausführungen des Gerichts, der Staatsanwaltschaft, ihrer Verteidiger und der Sachverständigen. Jung sind sie, der sorgfältig rasierte Christian W. mit den tief liegenden Augen und der schmächtige Brillenträger Sven P. Ihre Blicke schweifen durch die Fenster des Saales, hinaus in den märkischen Himmel. Nie schauen sie hinüber zum Tisch der Nebenklage. Dort sitzt die Frau, deren Mann sie getötet haben.

Carola K. sitzt im Gerichtssaal, weil sie dabei sein will, wenn die Mörder ihres Mannes bestraft werden. Dafür erträgt es die schmale Frau mit den kurzen Locken, zu erfahren, wie Bernd K.s letzte Stunden verlaufen sind: als eine Orgie aus Erniedrigung, Gewalt und Alkohol. Mit versteinertem Gesicht hört sie der Gerichtsmedizinerin zu, die die schweren Gesichtsverletzungen des Opfers beschreibt, den gebrochenen Kehlkopf, die gesplitterten Zähne, Nase, Augenhöhlen, Jochbein - alles zertrümmert. Faustschläge, sagt die Sachverständige, genügten dafür nicht, wahrscheinlich sei Bernd K. getreten worden. Immer gegen den Kopf.

Was wirklich geschah am 21. Juli 2008, wissen nur die Angeklagten. Aber sie schweigen, während ihre Anwälte versuchen, die Tat als Auseinandersetzung unter Alkoholikern darzustellen. Und so hört das Gericht als Zeugen den Kriminalisten, der am Abend nach der Tat Christian W. vernommen hat. Der Beamte schildert den Angeklagten als redseligen Typ, der im Verlauf der Vernehmung seinen Mittäter schwer belastet.

Der Tag in Templin hatte wie so oft mit dem Biereinkauf begonnen, zehn Flaschen bei Netto, für den Anfang. Irgendwo in der 17.000-Einwohner-Stadt sind die drei aufeinandergetroffen, die beiden stadtbekannten Rechten W. und P. und der alkoholkranke Bernd K. Sie haben getrunken, geraucht, Mädchen angemacht, wie eine Herde Verdurstender sind sie durch die Kleinstadt gezogen. Viele haben sie gesehen: am Marktplatz, am Rewe-Markt, am Busbahnhof. Als es dunkel wurde, machten sich die drei auf den Weg zu K.s Werkstatt.

Das klingt nach Einvernehmen, nach Prekariat und einem versoffenen Sommertag in der Provinz. Aber irgendwann in diesen Stunden hat sich das Machtgefüge zwischen ihnen verschoben. Die beiden jungen Männer trieben den torkelnden Bernd K. durch die Kleinstadt, Zeugen haben gehört, wie sie ihn als "Drecksau, Assi, Viech" beschimpften. Sie haben gesehen, wie die Jugendlichen den schmächtigen Mann schubsten und traten, wie er hinfiel und sie ihn hochscheuchten und weitertrieben. Eingegriffen hat niemand.

Als die drei in der Werkstatt ankommen, schläft Bernd K. vor Erschöpfung auf dem Fußboden ein. Seine Peiniger fassen das als Provokation auf. "Steh auf, du Drecksau!", soll Sven P. ihn angebrüllt haben. Dann habe er den Liegenden ins Gesicht getreten. Unzählige Male, über mehrere Stunden, inklusive Zigaretten- und Bierpausen.

So hat es Christian W. dem Vernehmungsbeamten geschildert: P. wars! Er selbst hingegen habe nur einmal gegen die Hüfte des Opfers getreten, ansonsten zugeschaut und irgendwann überprüft, ob K. noch atmet. Der Puls sei "nur noch lasch" gewesen, er habe zu P. gesagt, er solle aufhören. "Ich mach den jetzt tot", soll der geantwortet und noch dreimal gegen den Kopf getreten haben.

Sie sind dann los, haben Stippi liegen gelassen in seinem Blut, sind zum nahen Marktplatz gegangen, erst mal ein Bier trinken. Weil sie am Tatort ihre Räder stehen gelassen hatten, sind sie noch mal zurück. Da lag Bernd K., tot. P. soll gesagt haben, "ich will den anzünden". Nur er soll umherliegenden Müll auf die Brust des Toten gehäuft und entzündet haben. Aber es brannte nicht richtig.

In der Morgendämmerung sind sie zu Christian W. nach Hause geradelt. Sie haben seine Freundin geweckt und Spinat mit Ei verlangt. Stephanie Z. war ungehalten: Die beiden waren ihr zu dreckig, und dann das ganze Blut! Bevor sie sich an den Herd stellte, mussten die Männer ihre Schuhe ausziehen, Sven P.s Rudolf-Heß-Shirt und Christian W.s "Frontkämpfer"-Pullover steckte sie in die Maschine, die blutigen Schuhe wusch sie unter kaltem Wasser aus. Gegen Stephanie Z. läuft ein Verfahren wegen Vernichtens von Beweismitteln.

Die Nachricht von dem grausamen Mord an Bernd K. verbreitete sich im letzten Sommer wie ein Lauffeuer. Templin gilt als mustergültig durchsaniertes ostdeutsches Vorzeigestädtchen, als Refugium der Kanzlerin, die hier aufgewachsen ist und noch immer ein Haus hat. Es gibt viele Seen und Radwege, eine gut erhaltene Stadtmauer, eine schöne Therme - und ein Problem mit Rechten. Christian W. und Sven P. sind Teil dieses Problems, schon lange.

Der 19-jährige Schulabbrecher Sven P. war 2007 wegen eines Hitlergrußes, Körperverletzung, Beleidigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte bestraft worden. Wenig später griff er mit einem Teleskopstock einen Mann an und beschimpfte ihn als "Juden". Einen Monat vor dem Mord an Bernd K. wurde er zu sechs Monaten auf Bewährung verurteilt. Auch Christian W. war nach einer Haftstrafe wegen schwerer Brandstiftung, gefährlicher Körperverletzung, Volksverhetzung, Diebstahl und Tierquälerei auf Bewährung draußen.

Es gibt sie überall, diese Kleinstädte, in denen randständige Existenzen im Straßenbild auftauchen. Es gibt Alkis, Schläger, Rechte. Wie stark sie werden, bestimmt die Mehrheitsgesellschaft. Geht sie offensiv damit um, haben alle eine Chance auf Zusammenleben. Duckt sie sich weg und fühlt sich nicht ernst genommen von Lokalpolitik und Polizei, wachsen die anderen zu einer brutalen Kraft heran. Sie können sich sicher sein, dass niemand hilft, wenn zwei Rechte einen kleinen, betrunkenen Mann durch die Innenstadt schubsen.

Nach der Tat marschierten in Templin die Medien an, sie suchten zwischen Ackerbürgerhäuschen und gepflegten Parkanlagen nach Ostnazis und fragten nach Verantwortung. Bürgermeister Ulrich Schoeneich reagierte panisch. Er gab zu Protokoll, er wisse nichts von Rechten in seiner Stadt, und bezeichnete das Verbrechen als Werk von "Durchgeknallten".

Man kennt sich in Templin. Schoeneich ist seit 19 Jahren im Amt, zuvor war er technischer Leiter des evangelischen Pflegeheims in der Stadt. Noch einen Monat vor der Tat hatte der Leiter der Templiner Polizeiwache öffentlich erklärt, dass sich die Zahl politisch rechts motivierter Straftaten in der Stadt im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt habe. Und der aktuelle Brandenburger Verfassungsschutzbericht zählt 80 Templiner zur rechtsextremen Szene, 30 davon gelten als gewaltbereit. Schoeneich moniert, er sei darüber nicht informiert worden; er könne sich schließlich nicht um alles kümmern.

Nachdem Bernd K. gestorben war, offenbarte sich die ganze Sprachlosigkeit in der Gemeinde. Ein Gedenkkonzert, das der Neffe des Opfers organisiert hatte, wurde von Schoeneich kurzerhand abgesagt, Begründung: Hier könne nicht jeder irgendwas veranstalten. Zur Beerdigung in einem städtischen Sammelgrab kamen gerade mal 37 Menschen, unter ihnen der Bürgermeister. Heute gefragt, ob er sich jemals persönlich an die Familie des Toten gewandt hat, antwortet er: "Da bin ich nicht drauf gekommen. Ich bin ja kein Psychologe, die kriegen so was bezahlt."

Bernd K.s Witwe hat die Hoffnung auf Anteilnahme aufgegeben. "Der Bürgermeister hat sich nie bei uns gemeldet", sagt sie in einer Prozesspause, "außer wir sollen Hundesteuer zahlen, dann sind wir Templiner." Es ist einer dieser kleinstädtischen Zufälle, der sie mit Schoeneich verbindet. Vor Jahren hat Carola K. als Mitarbeiterin einer Baufirma in Schoeneichs Büro eine Polstertür eingebaut. Damit er vom Lärm der Kleinstadt unbehelligt arbeiten kann. Heute sagt sie: "Dahinter kann er sich jetzt verstecken."

Am Dienstag sollen am Neuruppiner Landgericht die Urteile gegen Sven P. und Christian W. ergehen.

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5 Kommentare

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  • U
    Unbekannt

    der Junge Mann der mit dem Teleskopschlagstock angegriffen und als Jude beschimpft worden war, war ich. ich kenne Die beiden Idioten persönlich und bin froh damit sie nun entlich weg sind

  • L
    Leser

    Schöne neue Welt: Der Artikel befindet sich in der Rubrik "Alltag". Sehr gut, weiter so!

  • MH
    Markus Hill

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    Zitat: Wenig später griff er mit einem Teleskopstock einen Mann an und beschimpfte ihn als "Juden".

    Der Artikel ist erschreckend, legt aber den Finger gut in die Wunde. Fairerweise würde ich jeden brutalen Übergriff, der von solchen Formulierungen wie "Juden" als Beschimpfung begleitet wird, in der taz erwähnen. Unabhängig davon, ob das ein Nazi oder "Semi-Nazi" gesagt haben soll, oder ein Moslem. Richtig, da gibt es so etwas auch. Genauso gefährlich. "Scheiss-Deutscher" ist ähnlich verwerflich, gibt keinen Freibrief für das Prügeln. Ich hoffe, dass die taz in der Berichterstattung um der Sache Willen nicht weiterhin zuviele Augen zudrückt.

  • K
    Kommentator

    @ S.M.:

     

    Das sehe haargenau so wie du:

    Der offen propagierte Rückzug des Staates aus Programmen der Jugendarbeit, street work u.v.m. aufgrund der Doktrin des "schlanken Staats" ist verdammt gefährlich.

     

    Wenn im Osten der Republik (und wohl auch anderswo) Jugendarbeit zugunsten "Nationaler Jugendtreffs" und Kameradschafts-Scheiße aufgegeben wird, wird eines klar:

    Marktradikalismus ist NICHT die Lösung sozialer Probleme. Sie lässt sie gar erst entstehen.

     

    Bin auch erst Mitte zwanzig, das durfte/musste ich aber erfahren.

     

    Dieser Artikel hat mich echt schockiert, wie lange keiner zuvor.

    Wie kann man nur so verrohen?!?

     

    kommentator

  • S
    S.M.

    wenn ich sowas lese, wird mir immer schlecht... diese tat ist nur die folge einer ursache; und diese ursache liegt darin begründet, dass sich die gesellschaft (seien es eltern oder irgendwelche öffentlichen verantwortlichen) nicht mehr um die juegnd kümmert, sie keine zeit mehr hat sich mit ihr zu befassen.

    ich erinnere mich da nur an die kriegskinder-doku bei ard, in der eine frau gesagt hat, sie hätte so eifrig bei den jungmädchen mitgemacht, weil sie das gefühl hatte ein wichtiger teil der kette zu sein. ich glaube dieses mangelnde gefühl geschätzt, gewollt und genauso bedeutend zu sein wie jeder andere auch ist ein riesiges grundprobleme, das es zu bewältigen gilt.

    ich bin selbst erst anfang 20 und erkenne immer mehr, dass hinter den scheinbar verkappten jugendlichen von nebenan einiges potential steckt; das muss "nur" gefördert und anerkannt werden.

    na dann mal: los gehts!