Prozess nach Hausräumng: Polizisten widersprechen sich
Nach Liebig 14-Demo soll ein 36-Jähriger Stein auf Polizisten geworfen haben. Gericht spricht ihn vom Vorwurf der Körperverletzung frei. Geldstrafe für Widerstand.
Auch sechs belastende PolizistInnenaussagen reichten nicht: Am Dienstag verurteilte das Amtsgericht einen Briten lediglich zu einer Geldstrafe wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Vom Hauptvorwurf - ein Steinwurf während der Krawalle um die Räumung des Hausprojekts Liebig 14 - wurde der 36-Jährige freigesprochen.
Die Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung hätten unterschiedlicher nicht sein können. "Es gibt keinen vernünftigen Zweifel, dass der Angeklagte der Täter war", bekundete der Staatsanwalt und forderte eine Gefängnisstrafe von 15 Monaten für Graham B. wegen Körperverletzung und Widerstand. Die Verteidigerin des Dreadlockträgers plädierte auf Freispruch. Die Zeugen hätten sich in "erhebliche Widersprüche" verstrickt.
Zuvor hatten drei Polizisten ausgesagt, "definitiv" B. als Werfer im Anschluss an eine Demo gegen die Räumung gesehen zu haben. Zwei weitere meinten, ihn "ohne Unterbrechung" bis zur Festnahme verfolgt zu haben. Unvermummt sei B. aus der Menge herausgetreten und habe "mit voller Wucht" den Stein auf einen Beamten geworfen. Der Polizist blieb aufgrund seiner Schutzkleidung unverletzt. Markant sie der "verzottelte Bart" des Werfers gewesen, sagten die Beamten. Dann gingen die Erinnerungen auseinander: Die einen meinten, B. sei schwarz gekleidet gewesen, die anderen sprachen von einer hellen Jacke.
"Es bleiben Zweifel, und wenn es Zweifel gibt, muss der Angeklagte freigesprochen werden", begründete Richterin Karin Nissing ihr Urteil. "Vielleicht war er's, ich glaube es eher nicht." Nur für den Widerstand gegen seine Festnahme erteilte Nissing eine Geldstrafe von 600 Euro.
Graham B. nahm das Urteil ungerührt auf. Im Prozess hatte er die Aussage verweigert, als Schlusswort nur gesagt, dass "50 Prozent der Leute auf linken Demos aussehen wie ich". Drei Wochen hatte der nicht vorbestrafte Arbeitslose, der in Hamburg lebt, in U-Haft gesessen. Der Staatsanwalt will eine Berufung prüfen.
Im Internet wurde unterdessen bereits um Neumieter ab Juni für das geräumte Haus in der Liebigstraße geworben. Angeboten wurden dabei Ein- bis Vier-Zimmerwohnungen, zwischen 44 und 199 Quadratmeter groß. Nettokaltmiete: gut sieben Euro. Nach Medienberichten ist das Angebot inzwischen wieder aus dem Immobilienportal verschwunden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind