Prozess gegen Sauerland-Gruppe: Die verhinderten Dschihadisten
Gläubig, fanatisch, dilettantisch - am Donnerstag fallen die Urteile gegen die Mitglieder der Sauerland-Gruppe. Die Angeklagten gewährten derweil einen Einblick in die Welt des Islamismus.
DÜSSELDORF taz | Mit leiser, unsicher wirkender Stimme trägt Daniel Schneider sein Schlusswort vor. "Mein Weg war falsch und fußte auf falschen Überlegungen", liest der Angeklagte seine Erklärung vor. Sein weißes Häkelmützchen hat er neben sich auf die Anklagebank gelegt. Sein langer Vollbart signalisiert, dass sich der aus einem katholischen Elternhaus stammende Konvertit nach wie vor als strenggläubiger Muslim versteht. Aber nicht mehr als Dschihadist, daran lässt er keinen Zweifel: "Ich hätte anders handeln können und müssen."
Schneiders Bild ging im Herbst 2007 um die Welt: Die Hände auf den Rücken gefesselt, blickt ein langhaariger junger Mann trotzig-verwegen in die Kamera. Heute trägt er seine Haare ganz kurz. Das ist nicht das Einzige, was sich an ihm während des rund zehnmonatigen Prozesses verändert hat. Er blickt kein einziges Mal von seinem Blatt auf. Doch seine Worte bewegen. Es ist mucksmäuschenstill im Hochsicherheitsgebäude des Düsseldorfer Oberlandesgerichts. Dass er bei seiner Festnahme einem BKA-Beamten die Waffe entrissen und in dieser Situation dessen Tod billigend in Kauf genommen habe, "war und ist eine beschämende Angelegenheit". Dafür entschuldige er sich.
Am Donnerstag verkündet der Vorsitzende Richter Otmar Breidling die Urteile gegen Schneider und seine Mitangeklagten Fritz Gelowicz, Adem Yilmaz und Attila Selek. Dreizehn Jahre Haft hat die Bundesanwaltschaft für den aus einer gutbürgerlichen Familie stammenden Schneider beantragt, zwölfeinhalb Jahre für Gelowicz, elfeinhalb Jahre für Yilmaz und fünfeinhalb Jahre für Selek. Die Angeklagten seien geradezu von einer "Freude am Massenmord" getrieben gewesen, sagte Chefankläger Volker Brinkmann in seinem Plädoyer Anfang Februar. Ihr "verqueres religiöses Denken" und ihr "unbändiger Hass auf amerikanische Soldaten" hätten sie dazu gebracht, ein Blutbad unvorstellbaren Ausmaßes verüben zu wollen. "Schwer verletzte Menschen mit abgerissenen Gliedmaßen waren Teil des Kalküls", formulierte Brinkmann drastisch. Ihre Anschlagspläne seien "von der Dimension der Gefahr her einmalig" in der Bundesrepublik.
Frühjahr 2006: Fritz Gelowicz, Adem Yilmaz, Daniel Schneider und Atilla Selek absolvieren eine Terrorausbildung bei der Islamischen Dschihad Union (IJU) im pakistanischen Waziristan.
Silvester 2006: Gelowicz und Selek spähen US-Kasernen in Hanau aus.
Februar 2007: Selek beschafft Sprengzünder in der Türkei.
Frühjahr 2007: Gelowicz beschafft 12 Kanister mit insgesamt 730 Litern Wasserstoffperoxid bei einem Chemikalienhändler. Fahnder tauschen die Flüssigkeit heimlich aus.
2. September 2007: Gelowicz, Yilmaz und Schneider ziehen in ein Ferienhaus im sauerländischen Medebach-Oberschledorn ein.
4. September 2007: Gelowicz, Yilmaz und Schneider werden von der GSG 9 festgenommen.
6. November 2007: Selek wird in der Türkei verhaftet.
22. April 2009: Beginn der Hauptverhandlung gegen die Sauerland-Gruppe vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht.
Das jedoch stimmt nicht so ganz. Denn selten war die Differenz zwischen Wollen und Können so frappierend wie im Fall der vier verhinderten Sauerland-Dschihadisten. Frühzeitig unter Beobachtung der Sicherheitsdienste, hatten sie nie auch nur den Hauch einer Chance, ihre fürchterlichen Vernichtungsfantasien in die Tat umzusetzen. In seinem Schlussplädoyer schildert Bernd Rosenkranz, einer der beiden Verteidiger Daniel Schneiders, in allen Details, wie tölpelhaft sich die Möchtegern-Gotteskrieger angestellt haben. Seine Schilderungen, die mitunter an Woody Allens Slapstick-Frühwerk "Take the Money and Run" erinnern, bringt sogar Bundesanwalt Brinkmann zum Schmunzeln. Auch Gelowicz, Yilmaz und Selek können kaum ihr Lachen verbergen, nur Schneider blickt tief ernst. Von der Perfektion der RAF jedenfalls "waren die Angeklagten meilenweit entfernt", konstatiert Rosenkranz. Er sieht darin einen Grund zur Strafreduzierung: "Unprofessionalität und Dilettantismus schützen zwar vor Strafe nicht", meint der Hamburger Anwalt, "können aber Strafe mildern".
Auch wenn die tatsächliche Bedrohung, die von ihnen ausging, nicht besonders groß war: Harmlos war das Quartett keineswegs. Das zeigt das Beispiel von Cüneyt Ciftci. Der in Freising geborene junge Mann war ein Freund Adem Yilmaz' und gehörte zu denjenigen, die dieser in die Islamische Dschihad Union (IJU) geschleust hat. Im März 2008 sprengte sich Ciftci mit einem Kleinlaster in einem US-Militärstützpunkt im Osten Afghanistans in die Luft. Zwei GIs und mehrere Zivilisten starben. Seitdem gilt der türkische Franke als der erste Selbstmordattentäter aus der Bundesrepublik.
Alle vier Angeklagten haben umfassende Geständnisse abgelegt. Der Einblick, den sein Mandant Gelowicz in die Welt des Dschihadismus gegeben habe, sei als "überragend" anzusehen, betonte Anwalt Hannes Linke in seinem Schlussplädoyer. Der 30-Jährige habe sowohl die Strukturen der Islamischen Dschihad Union (IJU) beschrieben als auch die Hintermänner benannt. "Derart werthaltiges Insiderwissen zur RAF, ETA, IRA oder PKK hätten Sie mit Kusshand genommen", sagte Linke in Richtung von Bundesanwalt Brinkmann.
Das dürfte unbestreitbar sein. Nachdem im Sommer vergangenen Jahres die Angeklagten überraschend ihr Schweigen gebrochen hatten, zeigte sich selbst der Vorsitzende Richter Ottmar Breidling schwer beeindruckt von der Offenheit der Angeklagten. Seit 1996 steht Breidling dem für Staatsschutzsachen und Terrorismus zuständigen 6. Strafsenat des Düsseldorfer Oberlandesgerichts vor. Er verhandelte gegen PKK-Aktivisten, Al-Qaida-Anhänger, Mitglieder der islamistischen Terrorgruppe al-Tawhid und gegen Metin Kaplan, den inzwischen in die Türkei abgeschobenen "Kalifen von Köln". Zuletzt verurteilte Breidling den als "Kofferbomber" bekannt gewordenen Libanesen Youssef Mohamad El-Hajdib zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Für Schlagzeilen gesorgt hatte Breidling 1997 mit der Verhandlung gegen die "Antiimperialistischen Zellen" (AIZ), der wohl skurrilsten Guerilla, die die bundesdeutsche Linke je hervorgebracht hat.
Die auf den ersten Blick so verschiedenen Fälle der Sauerländer Gotteskrieger und der beiden Möchtegernnachfolger der RAF, Bernhard Falk und Michael Steinau, die Mitte der 1990er mit Sprengstoffanschlägen von sich reden machten, weisen bemerkenswerte Parallelen auf - nicht zuletzt ideologischer Natur. Ihr kruder "Antiimperialismus" führte die aus dem linksautonomen Milieu kommenden Falk und Steinau, die nach ihrer Festnahme im Februar 1996 zum Islam konvertierten, immer stärker in die Nähe des Dschihadismus.
Gemeinsam ist beiden Fällen auch, dass ihre jeweiligen Protagonisten frühzeitig und aufwändig vom Staatsschutz observiert wurden. Das Erstaunliche ist: Sowohl Falk und Steinau als auch Gelowicz & Co. war sehr bewusst, dass sie überwacht wurden. Trotzdem machten sie unbeirrt weiter. Er sei sich "total sicher" gewesen, "dass alles klappen würde", sagte Gelowicz vor Gericht. Anfang September 2007 wurden er, Yilmaz und Schneider in einer Ferienwohnung im sauerländischen Medebach-Oberschledorn von einem Kommando der GSG 9 verhaftet; Seleks Festnahme erfolgte im November 2007 in der Türkei.
Reue gezeigt haben im Sauerland-Prozess nur Schneider und Selek. "Ich habe mit meinen Taten nicht nur dem Islam geschadet, es war auch allgemein ein Fehler, mich an den Anschlagsvorbereitungen zu beteiligen", sagte Selek in seinem Schlusswort. "Es tut mir leid." Solche Worte kamen Gelowicz und Yilmaz nicht über die Lippen. Wenn er etwas zu bereuen habe, dann sei das "eine Sache zwischen Allah und mir", antwortete Gelowicz, der der Kopf der Gruppe war, auf eine entsprechende Frage Breidlings. Immerhin beteuerte er, sich "in keiner Weise" mehr an terroristischen Aktivitäten beteiligen zu wollen. Ob das glaubwürdig ist? Seit vergangener Woche sitzt seine 28-jährige Frau Filiz in Untersuchungshaft, weil sie noch im letzten Herbst der IJU Geld geschickt haben soll.
Adem Yilmaz verzichtete als einziger Angeklagter auf ein Schlusswort. "Ich sag nix", beschied er schnoddrig dem Gericht. In seinen früheren Aussagen hatte der 31-Jährige bekundet, sein Ziel bleibe der Märtyrertod. "Daran hat sich nichts geändert." Yilmaz gefällt sich in der rüpelhaften Django-Pose. Im Prozess hatte er sich anfangs geweigert, vor dem Senat aufzustehen: "Ich stehe nur für Allah auf." Seine Anwältin Ricarda Lang attestierte in ihrem Plädoyer dem in der Türkei geborenen und in Langen aufgewachsenen Yilmaz "pubertäre Vorstellungen von Kampfeshandlungen à la Rambo". Er sei "vollkommen unpolitisch", und "nicht nur das religiöse Sachwissen scheint für ihn begrenzt zu sein", sagte die frühere Fernsehanwältin. Diese wenig schmeichelhafte Beschreibung gefiel Yilmaz gar nicht: "Das ist Schwachsinn", kommentierte er laut.
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