Prozess gegen Prügel-Polizisten: Undercover-Agent enttarnt
Die Polizei schreibt E-Mails ans Landgericht – und reaktiviert einen Pensionär für den Undercover-Einsatz im Prozess gegen den Beamten Marcel B.
Zwei Mails sind es, die zu Beginn des dritten Verhandlungstages für Wirbel sorgen: Die erste ist von André M.s Vorgesetztem, dem Leiter der Polizeinspektion Mitte West. André M., ebenfalls Polizist, war am letzten Verhandlungstag aufgetragen worden, sich als Zeugenbeistand einen Anwalt zu suchen – der ihm gegebenenfalls raten könne, nicht auszusagen. Denn möglicherweise würde M. sich mit seiner Aussage selbst belasten und könnte seinen Job verlieren – er hatte B. gedeckt und sich einer uneidlichen Falschaussage verdächtig gemacht.
All das war ihm am Dienstag ausführlich erklärt worden. Sein Vorgesetzter erbittet nun „aus Fürsorgegründen“ Auskunft darüber, ob M. sich einen Anwalt suchen soll, weil der sei sich noch immer nicht ganz sicher sei. „Das haben wir doch hier lang und breit besprochen“, sagt Staatsanwalt Rothe, der als Erster im Saal die Sprache wiederfindet. Und: „Das stand doch sogar in der Zeitung!“
Tatsächlich scheint es eher um die Finanzierung zu gehen: Richterin Wilkens jedenfalls signalisiert, dass in diesem Fall der Rechtsbeistand durchaus vom Staat bezahlt werden könne, da M. dazu aufgefordert worden sei, einen Anwalt zu nehmen. Das bekommt er jetzt auch noch mal schriftlich.
Noch kurioser als die erste Mail der Polizei ist aber die nächste, die Richterin Wilkens vorliest: Der Leiter der Direktion Einsatz hat der Vorsitzenden ebenfalls geschrieben und sie darüber informiert, dass für die Polizei künftig ein „neutraler Prozessbeobachter“ kommen werde. Der wird nun aufgefordert, sich zu melden: Es ist ein älterer Herr, der auf seinen Knien ausgedruckte Zeitungsberichte über den Prozess liegen hat und eifrig mitschreibt. Temba Hoch, der Verteidiger von Marcel B., bittet den „in Anführungsstrichen neutralen Prozessbeobachter“ darum, seinen Namen zu nennen und anzugeben, ob Mitschriften gefertigt werden.
Doch der ältere Herr weigert sich: „Was Sie hier machen, ist ja fast eine zeugenschaftliche Vernehmung!“ Er müsse seinen Namen nicht nennen. Und falls er es doch tue, dann nur, wenn ihm zugesichert würde, dass er bleiben dürfe. Das jedoch steht gar nicht in Abrede, wie die Richterin geduldig versichert.
Dem Staatsanwalt platzt jetzt endgültig der Kragen: „Finden Sie Ihr Verhalten nicht ein bisschen anmaßend?“ Auch Temba Hoch findet: „Wir erreichen einen Punkt, an dem das Ganze zur Farce wird!“ Der Staatsanwalt knöpft sich als nächstes die feixenden Polizisten im Publikum vor: „Sie sind Zuschauer und haben das nicht zu kommentieren – Sie sind Polizei, oder?“ Auch Anwalt Hoch verbittet sich das „Kasperletheater“ der Polizisten und fordert den „Undercover-Prozessbeobachter“ erneut auf, seinen Namen zu nennen – und der gibt schließlich auf.
Rechtsanwalt Temba Hoch
Bernd S. ist pensionierter Kriminalhauptkommissar und wurde offenbar für den Prozess reaktiviert. Was er dort genau tun soll und was sich die Polizei davon verspricht, bleibt unklar. Seinen Job macht er jedenfalls gewissenhaft – als später ein als Sachverständiger geladener Arzt nicht erscheint, vermutlich, weil er die Ladung wegen eines Jobwechsels nicht bekommen hat, schreibt er gleich dessen Nummer mit. Sicher ist sicher.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Die Wahrheit
Der erste Schnee
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten