Prozess gegen Pastor: Ein Mann sät Wind
Volksverhetzung? Am Freitag stand der evangelikale Martini-Pastor Olaf Latzel vorm Bremer Amtsgericht. Sein Urteil ergeht am Mittwoch.
Während die Staatsanwaltschaft nach superkurzer Beweisaufnahme die Schuld des Geistlichen für erwiesen hielt und 120 Tagessätze à 90 Euro als Strafe forderte, plädierte die Verteidigung auf Freispruch. Am Mittwoch wird die Vorsitzende Richterin Ellen Best das Urteil verkünden.
Inhaltlich gibt der Mitschnitt von Latzels mehr als einstündigem Vortrag mehrere Anknüpfungspunkte für den Vorwurf auf Volksverhetzung. Allerdings: Er enthält auch Entlastungsmomente. So erklärt Latzel es zwar zur „Katastrophe“, homosexuellen Kolleg*innen, die heiraten, ein Geschenk zu machen, jenseits derartiger Ausgrenzungspraxis könne man die Menschen aber respektieren.
Gewichtiger dürfte für die Verteidigung sein, dass Latzel zu Eingang seines Sermons, den er am 19. Oktober 2019 über rund 30 Hetero-Paare ergossen hatte, verspricht, die intime Atmosphäre zu wahren. „Das wird nicht rausgehauen über den Äther, also übertragen“, sagt er im Video.
Verwirrung um Wirkung und Ursache
Wurde es dann aber doch, ein knappes halbes Jahr später. Er habe einem technischen Mitarbeiter im März 2020 die Erlaubnis gegeben, die Ansprache zu veröffentlichen, auf Youtube – auf Latzels Kanal, der 15.000 Follower hat. Kurz danach begannen Vandalismus-Attacken auf die Gemeinde, Farbschmierereien und Kundgebungen, über die Bild-Zeitung und Weser-Kurier ausgiebig berichteten.
Besonders schlimm fand die Gemeinde, dass der Schriftzug „God is gay“ auf dem Schaukasten angebracht worden war. Chronologisch überraschend machten nun Latzel und sein Verteidiger Sascha Böttner diese Angriffe als Kontext für die Äußerungen Latzels geltend.
Den 30 Paaren sei klar gewesen, dass er sich auf diese bezogen hätte, als Latzel sich darüber beklagte, dass „überall diese Verbrecher vom CSD“ rumlaufen und Partys feiern würden, hieß es. Das alles seien „bewusst anti-christliche Dinge, mit denen die Ehe torpediert wird“, so Latzels Ansprache auf Band. „Diese Homo-Lobby, dieses Teuflische drängt immer mehr hinein“, warnte er seine Schäfchen.
Dass damit „letztlich nur Personen gemeint sein können“, betonte Staatsanwältin Marlene Wieland. Eine Schutzbehauptung sei Latzels Beteuerung, stets zwischen dem Menschen und der Tat zu unterscheiden. Man sage Ja zum Sünder aber Nein zur Sünde, so dessen formelhaftes Bekenntnis schon in einer ersten Stellungnahme zu den Vorwürfen Ende April vergangenen Jahres.
„Es wird in den Äußerungen gerade nicht differenziert“, so die Anklagevertreterin mit Hinweis auf Passagen der Ansprache, in denen Latzel Homosexualität in die Nähe von Zoophilie rückt. Es sei klar, dass mit den Äußerungen LBGTI-Personen in ihrem Menschsein als solchem getroffen werden sollten, so Wieland.
Robert Dadanski, Vorsitzender des Bremer CSD-Vereins
Unbestreitbar hat da jemand Wind gesät. Heikel am Verfahren bleibt, dass es das Grundrecht auf Religionsfreiheit berührt. Dass die Staatsanwaltschaft befand, Latzel habe sich mit seinem Versuch, eine feindselige Haltung gegen LBGTI-Menschen zu erzeugen, „weitreichend vom evangelischen Glauben entfernt“, ist problematisch.
Zu Recht wies die Verteidigung darauf hin, dass diese Feststellung gerade nicht staatlichen Behörden obliegen könne. Fakt ist: Wenn Olaf Latzel einfach nur in seinem Gotteshaus fröhlich vor sich hingehasst hätte, wäre wohl nichts passiert. Gerichte sind nicht dafür da, weltanschauliche Konflikte auszutragen.
Im Visier von Latzel-Fans
Umgekehrt erweist sich das Aggressions-Potenzial der Community, an die Latzel sich wendet, als nicht unerheblich. So hatte der CSD-Verein, nachdem er den Geistlichen im Frühjahr angezeigt hatte, seine Telefone auf Anrufbeantworter umschalten müssen. Die Hürde, seinen Hass mit eigener Stimme auf Band zu hinterlassen, sei eben höher, so der Vorsitzende Robert Dadanski auf taz-Nachfrage.
Dass Latzel jetzt vor Gericht steht, „erfüllt mich nicht mit Genugtuung“, sagte Dadanski. Mit der Anzeige „haben wir unsere Pflicht getan“. Bewusst habe man auf einen Antrag verzichtet, als Nebenkläger zugelassen zu werden „Wir wollen, dass der Staat das in die Hände nimmt.“
Aktualisierung: Nach Erscheinen dieses Artikels wies Böttner darauf hin, dass die Kirche an der Weser auch vor der Veröffentlichung seiner Ansprache auf Youtube mehrfach und zuletzt im Jahre 2018 Gegenstand von Vandalismus-Attacken geworden war, einschließlich der Verwendung des als blasphemisch empfundenen Schriftzugs, laut dem Gott homosexuell ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland