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Prozess gegen Altenpfleger in BremenEinzige Fachkraft: Ein Leiharbeiter

Im Prozess wegen gefährlicher Körperverletzung durch einen Pflegehelfer berichtete ein Zeuge von Chaos in der Bremer Pflegeeinrichtung.

Für DiabetikerInnen lebensrettend, für Gesunde lebensbedrohlich: Insulin Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

Bremen taz | Am zweiten Verhandlungstag gegen einen Pflegehelfer wegen gefährlicher Körperverletzung sagte am Mittwoch vor dem Landgericht ein Krankenpfleger aus: Er hatte gemeinsam mit dem Beschuldigten im Pflegezentrum Am Doventor Dienst, als eines der Opfer wegen lebensbedrohlicher Unterzuckerung ins Krankenhaus musste.

Der Pflegehelfer soll im März zwei Bewohnerinnen der Einrichtung ohne ärztliche Verordnung Insulin gespritzt haben. Eine der beiden sei daraufhin in einem lebensbedrohlichen Zustand ins Krankenhaus gekommen. Der Mann hatte bereits vor Prozessbeginn gestanden, absichtlich falsch Insulin verabreicht zu haben.

Der Zeuge sagte nun aus, er sei am Tag der Tat als einzige examinierte Pflegekraft vor Ort für zwei Etagen der Einrichtung zuständig gewesen – und das, obwohl er das Pflegeheim überhaupt nicht kannte: Über eine Zeitarbeitsfirma sei er für das letzte März-Wochenende dort eingesetzt worden. Am Samstagmorgen habe er von der Nachtschicht Schlüssel für die Medikamentenschränke erhalten, „aber ansonsten bekam ich keine Einweisung, keinen Ablaufplan, gar nichts – ich musste mich komplett selbst orientieren.“

Als einzige Fachkraft sei er für die Medikamentenvergabe auf beiden Etagen zuständig gewesen. Auffällig sei gewesen, dass das Insulin nicht eingeschlossen gewesen sei: Die für die DiabetikerInnen vorbereiteten Tabletts mit den Blutzuckermessgeräten und den Insulin-Pens hätten auf dem Tisch im Medikamentenraum gestanden, der – anders als die abgeschlossenen Medikamentenschränke – auch für Hilfskräfte zugänglich ist.

Auffällig sei gewesen, dass das Insulin nicht eingeschlossen gewesen sei

Für die Pflege des Opfers, der bettlägerigen dementen 75-Jährigen sei am Samstag der Angeklagte zuständig gewesen. Gegen zehn Uhr habe er Bescheid gesagt, dass es der Frau nicht gut gehe und sie einen extrem niedrigen Blutzuckerwert habe. Gemeinsam seien sie in ihr Zimmer gegangen und hätten festgestellt, dass sie „schon fast somnolent“ gewesen sei, ihre Vitalwerte überprüft und nochmals Blutzucker gemessen: „Da war klar, dass ein Rettungswagen kommen muss.“ Erneut sei dann durch das Notarzt-Team der Blutzucker gemessen worden, der unterdessen noch weiter abgefallen war: „Wir wurden vom Notarzt gefragt, ob die Frau Insulin bekommen hätte, und wir haben das beide verneint“, sagte der Zeuge.

Erst später sei ihm aufgefallen, dass der Angeklagte als erstes den Blutzucker der Frau gemessen hätte: „Das ist eigentlich nicht das erste, was man tut. Sie war ja keine Diabetikerin.“ Auch, dass an ihrem Bett ein Messgerät gelegen habe, sei ungewöhnlich: „Normalerweise sind diese Geräte im Dienstzimmer oder Medikamentenraum.“

Am nächsten Morgen habe er dem Nachtpfleger von dem Notfall erzählt: „Und der hat dann berichtet, dass Insulin fehlt.“ Konkret habe sich die Menge eines bestimmten Langzeit-Insulins innerhalb von nur drei Tagen so drastisch reduziert, dass dies nicht in Einklang mit dem Bedarf der BewohnerInnen zu bringen gewesen sei. „Ich habe gesagt, er müsse darüber unbedingt die Pflegedienstleitung informieren und ich habe auch meinen Arbeitgeber darüber informiert.“

Mittags habe er den KollegInnen dann im Beisein des Beschuldigten von seinem Gespräch mit dem Nachtpfleger erzählt, aber der Beschuldigte habe „gar nicht beziehungsweise unauffällig darauf reagiert“. Insgesamt sei der Pfleger ruhig gewesen „und im Gegensatz zu anderen Hilfskräften, die ich kennengelernt habe, recht cool“. Auf die Frage des Vorsitzenden Richters, ob sich der Angeklagte in den Vordergrund habe spielen wollen, sagte der Zeuge: „Ja, vielleicht ein bisschen, so nach dem Motto: ich kenne mich hier aus und Du nicht.“

Allerdings, sagte er, habe das ja auch gestimmt: Er habe die alte Frau an diesem Tag zum ersten Mal gesehen, während der Beschuldigte viel über ihre Vorgeschichte erzählen konnte. „Er war derjenige, der fast die ganze Zeit mit dem Notarzt geredet hat.“ Das habe er ganz ruhig und aufgeräumt getan. Darüber hinaus habe er schlecht über seine KollegInnen geredet, „dass die alle keine Ahnung haben und wie Scheiße die Einrichtung ist“. Er hätte aber insgesamt den Eindruck gehabt, dass die Atmosphäre untereinander schlecht gewesen sei: „Als er Feierabend gemacht hat, hat irgendwer gesagt: Gut, dass der weg ist.“

Insgesamt seien die Zustände im Pflegezentrum Am Doventor „ein Durcheinander, das kann man nicht anders sagen: Schlechte Organisation, zu wenig Personal, überforderte Mitarbeiter“. Nach seinem Dienstwochenende habe er seinem Arbeitgeber gesagt: „Ich kann das da nicht weiterempfehlen.“

Auch der Angeklagte hat lange als „Leih-Pfleger“ gearbeitet: Vor seiner Anstellung Am Doventor war er als Mitarbeiter einer Zeitarbeitsfirma in bis zu 35 Einrichtungen tätig. Neben den Vorfällen im März wird mittlerweile in noch zwei weiteren Fällen gegen ihn ermittelt. Das Verfahren wird am kommenden Montag fortgesetzt.

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