Prozess Revolutionäre Aktionszellen: Die letzte Zelle

Vor dem Landgericht Berlin hat der Prozess gegen ein Mitglied der RAZ begonnen. Die 2013 aufgelöste Gruppe war die letzte militante Vereinigung.

Eine verkohlte Tür

Überreste des Anschlags auf die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung am 27. April 2011 Foto: Björn Kietzmann

BERLIN taz | Der Morgen des 22. Mai 2013 markiert gewissermaßen einen vorläufigen Endpunkt in der Geschichte linksmilitanter klandestiner Gruppen in Berlin und auch landesweit. Obwohl die letzten Anschläge der Revolutionären Aktionszellen (RAZ) bereits zwei Jahre zurücklagen, besiegelte die Großrazzia dieses Tages ihr endgültiges Aus. Bis heute war die RAZ die mutmaßlich letzte feste in mehreren Zellen organisierte linksextreme Gruppe, die sich dem gewaltsamen antiimperialistischen Kampf für die Überwindung der Verhältnisse verschrieben hatte und mittels langer Debattenbeiträge andere zur Nachahmung zu ermuntern versuchte. Am Dienstag begann der Prozess gegen einen Beschuldigten vor dem Berliner Landgericht.

Vor acht Jahren hatten mehr als 300 Po­li­zis­t*in­nen insgesamt 21 Objekte durchsucht, davon zwölf in Berlin, ein soziales Zentrum in Magdeburg und ein Büro der Falken in Stuttgart. Die Bundesanwaltschaft ermittelte gegen neun Beschuldigte wegen einer Reihe von Brandstiftungen in Berlin und dem Verschicken von Drohschreiben mit Patronen. Der Vorwurf, der auch umfangreiche Überwachungsmaßnahmen im Vorfeld rechtfertigte, lautete auf Bildung einer kriminellen Vereinigung nach Paragraf 129 Strafgesetzbuch.

Die RAZ war Ende 2009 erstmals mit einem Anschlag auf die Agentur für Arbeit im Wedding in Erscheinung getreten. Es folgten weitere auf das Bundesverwaltungsamt und das Haus der Wirtschaft. Briefe mit 9-mm-Patronen gingen etwa an den damaligen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich und den stellvertretenden Generalbundesanwalt Rainer Griesbaum.

Ihre letzten Brandsätze – Gaskartuschen mit Zeitzündern – explodierten im April 2011 vor der Eingangstür zum Weddinger Amtsgericht und vor der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. An den Tatorten fanden sich der RAZ-Schriftzug. In einem Bekennerschreiben schrieb die Gruppe, in den Objekten säßen „die Ausführenden und AmtsträgerInnen des reaktionären Klassenkampfes von oben“.

Prozess acht Jahre später

Seit Dienstag muss sich Cem K., ein 46-jähriger in Berlin lebender Mann, wegen der letzten beiden Brandstiftungen und jener auf das Haus der Wirtschaft verantworten. Von dem Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung hat die Staatsanwaltschaft aufgrund mangelnder Beweise gelassen; auch gegen die ursprünglich weiteren acht Beschuldigten hat sie die Anklagen fallen gelassen. Eine von ihnen hatte sich im Sommer 2014 das Leben genommen, auch durch den „psychischen Druck“, den die Ermittlungen auslösten, hieß es von einer Un­ter­stüt­ze­r*in­nengruppe, die vor dem Gericht eine Kundgebung mit etwa 40 Personen abhielt.

Ulrich von Klinggräff, Verteidiger

„Ein kläglicher Überrest sehr umfangreicher Ermittlungen“

In der Anklageverlesung spielte K.s mutmaßliche RAZ-Mitgliedschaft eine wichtige Rolle, um ihn für die Gruppentaten verantwortlich zu machen. Der Anwalt des Beschuldigten, Ulrich von Klinggräff, bezeichnet die Anklage gegenüber der taz als „kläglichen Überrest“ sehr umfangreicher Ermittlungen. Dass zunächst fünf Jahre bis zur Erhebung der Anklage und nun weitere drei Jahre bis zum Prozessbeginn vergingen, sei eine „nicht zu begreifende Verschleppung des Verfahrens“. Auch der Prozess selbst wird sich in die Länge ziehen. Bis Oktober sind bereits 25 Verhandlungstage terminiert.

Von Klinggräff und sein Kollege Sven Lindemann begannen den Prozess mit einem Antrag gegen die scharfen Sicherheitsmaßnahmen, die etwa auch Ausweiskopien der Be­su­che­r*in­nen vorsehen. Obwohl sein Mandant nicht vorbestraft sei und die ihm vorgeworfenen Taten zehn Jahre zurückliegen, suggeriere das Gericht dessen Gefährlichkeit, so von Klinggräff. Weil der Antrag zurückgewiesen wurde, stellte die Verteidigung einen Befangenheitsantrag gegen die Kammer. Überdies forderte sie die Aussetzung des Verfahrens wegen Aktenunvollständigkeit

Nachfolge der „militanten gruppe“

Für die Er­mitt­le­r*in­nen und den Verfassungsschutz galt die RAZ als Nachfolgeorganisation der linksautonomen „militanten gruppe“ (mg), die von 2001 bis 2009 etwa 20 Brandanschläge verübte und ebenfalls Patronen verschickte. Die mg fand ihr Ende mit der Verurteilung dreier ihrer Mitglieder, die auf frischer Tat beim Anzünden von Bundeswehrfahrzeugen ertappt worden waren. Einer von ihnen, Oliver Rast, gehörte später auch zu den Beschuldigten in den RAZ-Ermittlungen.

In der Zitty erklärte Rast 2018, warum der mg und RAZ keine Gruppe mehr folgte, die unter einem Markennamen militant agierte. Einerseits sei dies dem „erhöhten Fahndungsdruck“ zuzuschreiben, andererseits sei es nicht gelungen, „generationsübergreifend in der radikalen Linken Wissen und Erfahrungswerte weiterzugeben“. Rast selbst hatte noch Kontakt zu ehemaligen Inhaftierten der RAF und der Bewegung 2. Juni.

Die RAZ hatte von der mg auch die Herausgabe der Untergrundzeitschrift Radikal übernommen – als Redaktionsgruppe „Revolutionäre Linke“. Hier erschien auch ihr letzter Text, ein Beitrag zum „Kongress für autonome Politik“ – dem nach Einschätzung von Teil­neh­me­r*in­nen allerdings „Sprachlosigkeit und das Nichtverhalten im Anschluss“ folgte.

Ihre Überzeugung hatte die RAZ in einem früheren Kommuniqué kundgetan, derzufolge sich eine Perspektive für eine kommunistische Gesellschaft „nur über die Zerstörung der ideologischen und repressiven Staatsapparate aufmachen“ lasse. Nichtsdestotrotz unterschied sich die Feierabendmilitanz von dem von der RAF aus dem Untergrund propagierten und später auch von anderen Gruppen verfolgten Konzept der „Stadtguerilla“.

Seit Dezember 2019 war die Abkürzung RAZ wieder aufgetaucht, im Zusammenhang mit Drohschreiben an die Unions-Politiker Herbert Reul und Joachim Hermann und einem versuchten Anschlag auf die Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg. In Verdacht stehen zwei Kom­mu­nal­po­li­ti­ke­r*in­nen aus Stuttgart. Nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft lägen jedoch „keine Hinweise auf einen Zusammenhang mit früheren Anschlägen und Drohschreiben“ vor.

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