Protokoll einer Auszubildenden: Sklaven in Ausbildung
In Deutschland fehlt es an Azubis? Kein Wunder! Protokoll einer angehenden Eventkauffrau, die sich lange genug unter Wert verkauft hat.
Vor einem Jahr habe ich einen Ausbildungsplatz zur Veranstaltungskauffrau ergattert, zwar war das immer mein größter Wunsch, aber nun denke ich viel über den Sinn des Ausbildungssystems und die Zukunft nach.
In einem Magazin las ich von dem Nachwuchsmangel in den Ausbildungsbetrieben, und dass alle nur noch studieren wollen. Jugendliche werden nach ihrer Meinung befragt bezüglich ihrer Ausnahme vom neuen Mindestlohn über 8,50 Euro. Natürlich will niemand mehr die gute alte Lehre machen, denn das Ausbildungssystem ist veraltet. Warum gibt es nicht für jeden Ausbildungsberuf einen Tarif, der jeden jungen Menschen vor Ausbeutung schützt und die Lebensgrundlage sichert? Ausbildungen sind zu einem Freibrief für Unternehmen verkommen, billige Arbeitskräfte zu beschäftigen.
Der Gedanke an den Moment, in dem ich den Ausbildungsvertrag unterschrieben habe, treibt mir immer noch Tränen in die Augen – damals war es vor Glück, heute vor Sehnsucht nach besseren Zeiten. Ich wollte immer Eventmanagerin werden. Zuerst dachte ich, dass studieren der bessere Weg als die Ausbildung sei, um ein erfolgreiches, sorgloses Leben zu führen. Ich bin nicht materialistisch, aber ich weiß mittlerweile, dass Armut den Blick auf die „kleinen Dinge“ verschleiert und eine Familie besser ungegründet bleibt, wenn man als ausgelernte Kraft nur 950 im Monat Euro verdient.
Das Studium war nichts für mich, ich dachte mir das schon. Ich nutzte die Zeit, um Engagement zu zeigen. Schon mit 16 Jahren schrieb ich an ersten Konzepte und stellte diese in einer Düsseldorfer Agentur vor, in der ich dann überbrückend arbeitete. Ich machte unbezahlte Praktika in allen Bereichen einer Veranstaltung, Technik, Catering, Zeltbau, Agenturarbeit. Mit 16 begann es, mit 20 hatte es noch kein Ende genommen. Aber niemand wollte mein Engagement sehen, alle sahen nur die Noten und fragten: „Warum haben Sie sich bei uns beworben?“
heißt im wahren Leben anders. Sie ist 21 Jahre alt, macht eine Ausbildung zur Eventmanagerin, die sie im nächsten Jahr beenden wird. Sie dankt ihrer Mama Manuele für die Unterstützung.
Diese ewige Frage, „Warum haben Sie sich bei uns beworben?“ Weil es um mein Leben geht und ich eine Lehrstelle benötige. Ich hab mich überall beworben. Ich will Veranstaltungskauffrau werden. Ich will diesen Beruf lernen, gebt mir doch eine Chance! Ich will mich diesem schwachsinnigen System nicht geschlagen geben, ich will lernen, was ich will.
Ausbildung macht arm
Nach der letzten Absage im letzten Jahr wusste ich nicht weiter. Zig Praktika, Fachabitur, Führerschein, alles hatte ich gemacht und selbst bezahlt und erarbeitet. Niemanden interessierte das. Einen letzten Kontakt hatte ich noch, dort rief ich an und bewarb mich wie die letzte Gans vor Weihnachten. Und wurde genommen. Ich kündigte meine Kellnerjobs und beantragte BAB - Berufsausbildungsbeihilfe. Als ich dann unterschrieb, biss ich die Zähne zusammen, als ich las: 340 Euro Lohn.
Die Ausbildung hat mich arm gemacht. BAB bekomme ich noch heute nicht. Die Behörde zahlt nicht. Sie will Bescheide des Elterneinkommens von vor zwei Jahren. Mein Vater war damals noch berufstätig und verdiente gut, deshalb solle er Unterhalt zahlen. Er bekam aber kurz darauf Harz IV und kann längst nicht mehr zahlen. Die Behörde interessiert das nicht. Also gehe ich samstags und sonntags heimlich wieder kellnern. Schwarz versteht sich, sonst nimmt der Staat mir auch noch die letzten Kröten wieder weg. Mit dem Kindergeld habe ich heute so trotzdem 780 Euro, pro Monat habe ich zwischen einem und drei freien Tagen.
200 Euro Benzin kostet die Fahrerei mich jeden Monat, Miete 320, Strom 45 und Telefon 30. Der Rest ist für mich. Das Auto ist so alt und kaputt, das es nicht schneller als 90 km/h fährt. Und wenn es eines Morgens auseinanderfällt, hab ich Pech gehabt.
Überstunden, Überstunden
Ich liebe die Berufsschule, meine Mitauszubildenden sind in den verschiedensten Betrieben. Manche wollten genau den Beruf, andere haben ihn genommen, weil nichts anderes da war. Wir sind 19 – als wir begannen, waren wir noch 26 Schüler. Von den anderen sieben sind sechs gegangen, weil sie es im Betrieb nicht mehr ausgehalten haben. Die ewigen Überstunden verpacken nicht alle. Unter der Woche bleibt keine Zeit zum Überstundenausgleich, und ausbezahlt werden sie nicht und selbst wenn: Wer will schon 2,10 Euro oder die, die es besser haben: 4,10 abzüglich Steuern, pro Stunde?
Ich will durchhalten, meine Chefs sind nett, aber abgezockt. Sie drängen, dass ich auch am Wochenende arbeite, aber ich kann und will im Restaurant nicht absagen, sonst gibt es nur Nudeln und Ketchup zu Hause auf dem Teller. Gut für das Betriebsklima ist es nicht, auch nicht, dass ich immer oberpünktlich Feierabend mache. Wir haben nur einen Gesellen und vier Auszubildende inklusive mir. Wir sind billig und machen, was man uns sagt. Die anderen machen im Schnitt dreißig Überstunden pro Monat. Und das für läppische 340 Euro.
Ich will in meinem Betrieb nicht bleiben. Ich mache hier nur Büroarbeiten. Für die Ausbildung ist es das, was ich erwartet habe, für später nicht. Veranstaltungsinhalte habe ich vor der Ausbildung in der Agentur gelernt. Ich will genug Betriebswirtschaftslehre und Gesetzesgrundlagen lernen, um für die Selbstständigkeit gewappnet zu sein. Arbeitsstellen gibt es sowieso keine. Wenn ich Langeweile auf der Arbeit habe, nutze ich jede freie Minute, um an meinem Geschäftskonzept zu feilen. Wenn irgendwas schiefengehen sollte, kann ich nicht mehr pleite sein, als ich es jetzt bin. Wenn ich nicht übernommen werde, würde ich jeden Job annehmen, Hauptsache, ich kann mit dem Gehalt genug Geld sparen. Ich sehe das als den Preis dafür, einmal tun zu können, was ich will.
Ich bin zielorientiert und engagiert, wenn es darum geht, meinen Berufswunsch durchzusetzen, hält mich nichts auf, aber die Geldknappheit nagt an mir. Konzerte, Restaurantbesuche, Kino, Klamotten, Freizeitpark oder ein Urlaub sind unerschwinglich für mich. Das schmerzt. Jedes Wochenende serviere ich Dinge, die ich mir nicht leisten kann.
Ich habe schon einmal etwas von der Möglichkeit der Verkürzung gehört. Tatsächlich: Wer ein Abitur hat, kann mit Einverständnis des Betriebes um bis zu ein Jahr verkürzen und/oder eine frühere Teilnahme an der Abschlussprüfung beantragen, vorausgesetzt, seine Leistungen sind überdurchschnittlich und seine Schulnoten liegen unter dem Schnitt von 2,49. Damit würde man nach eineinhalb Jahren fertig sein. Ich bin verwundert, ich kenne niemanden, der eines davon oder gar beides versucht hat.
Warum bloß nicht? Klar, kein Unternehmen will die billige Arbeitskraft in Form von Auszubildenden loswerden. Unternehmen, die ihre Auszubildenden übernehmen wollen, müssten eineinhalb Jahre früher volles Gehalt zahlen und Unternehmen, die die Auszubildenden nicht übernehmen, müssten nach relativ kurzer Zeit jemand Neuen suchen und anlernen.
Es schmerzt
Unternehmen, ob groß oder klein sitzen immer am längeren Hebel. Auszubildende haben einfach keine Lobby. Niemand schert sich um deren Probleme, schließlich hat sich ihre Situation ja nach spätestens drei oder vier Jahren erledigt. Man sagt immer wieder: „Lehrjahre sind keine Herrenjahre.“
Stimmt, aber das Prinzip der Ausbildungsvergütung ist veraltet. Die jungen Leute sind qualifizierter als früher, in ihrem Lebenslauf stehen nicht mehr bloß Grund- und weiterführende Schule. Viele haben Abitur, gesonderte Lehrgänge, Kurse, Praktika, haben sich Auslandssemester oder Ähnliches erarbeitet. Oft müssen sie umziehen, um irgendwo eine Lehre annehmen zu können oder wohnen bereits alleine, die Fahrwege sind viel weiter als früher einmal. Wer arbeitet schon noch „um die Ecke?“
Und dann kommt noch hinzu, dass man uns entweder Drecksarbeit machen lässt, uns ausnutzt oder wir nach kurzer Anlernzeit die selben Arbeiten verrichten wie die Gesellen. Das Problem ist, dass niemand die Unternehmen kontrolliert. Jeder Azubi muss in Form eines wöchentlichen Berichtsheftes nachweisen, was er gelernt hat, ein Unternehmer muss nicht nachweisen, ob und welche Inhalte er vermittelt hat.
Unternehmen behandeln Auszubildende oft genug wie billige Hilfsarbeiter. Viele Auszubildende müssen nach acht Zeitstunden Berufsschule wieder in die Betriebe, teilweise bis 20 oder 21 Uhr. Niemand kommt in die Unternehmen und fragt die Auszubildenden, ob es ihnen gut geht, ob sie was gelernt haben, ob sie Arbeitsmaterial erhalten, ob man auf ihre Pausenzeiten und Freizeitausgleich achtet.
Rein betrieblich geht es mir noch gut, ich habe auch meine Verkürzung nach einer langen Diskussion durchgesetzt. Anderen ist es weniger gut ergangen, doch keiner wehrt sich, weil die meisten Angst haben, ihre Ausbildung zu verlieren. Und das, obwohl wir sowieso schon die Generation der Ausbildungssklaverei, Arbeitslosigkeit, Unterbezahlung und Altersarmut sind und sein werden. Also: „Kinder, lernt was Anständiges!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“