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Protokoll aus der PsychiatrieSieben Tage weg

Wenn im Kopf nur noch Finsternis und Chaos herrschen, ist es an der Zeit, etwas zu tun. Eine Woche in der Klinik – ein Protokoll.

„Wie viel von dieser Krankheit ist Kranksein, das vorbeigeht, und wie viel bin ich selbst?“ Bild: Maria Vaorin / photocase.com

Erster Tag. Ist es richtig, mich selbst einzuliefern? Hätte ich mich bloß nicht krankgemeldet. Arbeiten geht doch irgendwie immer. Stattdessen betrete ich ein Krankenhaus. Man nimmt mir Blut ab, mir wird flau im Magen.

Ständig kamen mir die Tränen, ohne erkennbaren Grund, auf dem Fahrrad, im Supermarkt, in der U-Bahn. Ich konnte nichts dagegen tun. „Eine schwere Depression ist nicht therapierbar. Ich kann Ihnen nicht helfen. Wir brauchen einen Anknüpfungspunkt“, hatte der Therapeut gesagt. Darum bin hier.

Ein Pfleger führt mich hinauf. Zweiter Stock, Station 23, Zimmer 116. Meine Zimmernachbarin spricht nicht. Ich frage sie, seit wann sie hier ist. Sie hebt Daumen und Zeigefinger. „Zwei Tage?“ Kopfschütteln. „Zwei Wochen?“ Kopfschütteln. „Zwei Monate?“ Sie nickt. „Und wissen Sie, wie lange Sie noch bleiben müssen?“ Sie schüttelt den Kopf und dreht sich weg. Durch das offene Fenster weht ein angenehm kühler Luftzug.

Die 10.000ste taz

Diesen und viele weitere spannende Texte fanden Sie in der 10.000sten Ausgabe der taz, erschienen am Dienstag, den 8. Januar 2012, am Kiosk. Immer noch erhältlich im eKiosk. In der Ausgabe schrieben ehemalige und jetzige taz-RedakteurInnen, was sie schon immer einmal schreiben wollten.

Wie viel von dieser Krankheit ist Kranksein, das vorbeigeht, und wie viel bin ich selbst? Welche Gedanken sind von mir, welche von der Krankheit? Welche Launen sind „normal“, über welche sollte ich mir Sorgen machen? Und wenn ich mir Sorgen mache, sind diese in Ordnung oder bereits Teil der Krankheit?

Auf dem Gang vor dem Zimmer geht ein junger Mann auf und ab. Das hat er schon getan, als ich ankam, vor drei Stunden. Ich habe das Gefühl, er kommt jetzt häufiger an meiner Tür vorbei und dreht schnell wieder um. Dann geht ganz langsam an der offenen Tür vorbei, schaut rein und mich direkt an. Als ich kam, hatte er schon so einen stierenden Blick. Der ist doch echt irre.

Visite. Zwei Ärztinnen, zwei Schwestern, ein Sozialarbeiter. Wenige Fragen, später soll es ein längeres Gespräch geben.

Die Autorin

Anna Ridder heißt in Wirklichkeit anders. Sie ist Anfang 30 und Redakteurin der taz. Ihr Aufenthalt in der „Krise“ ist drei Jahre her. Heute geht es ihr gut, meistens jedenfalls.

Ich will weg. Ich bin doch nur ein bisschen traurig, nicht irre wie die anderen hier. Aber zu Hause habe ich tagelang nichts getan, als im Internet mit bunten Bällen auf andere Bälle zu schießen. Bei jedem Treffer ein „Pling“. Immer wieder, noch einmal, nur ein Spiel.

Die Oberschwester zeigt mir die Station: gebastelte Fensterbilder, eine Tischtennisplatte, orange-braune Vorhänge im Speisesaal. Ich gehe ins Freie, rauchen. Und meine Schwester anrufen. Ich fange sofort an zu weinen, sage, dass es hier schrecklich ist. „Du kannst ja eine Nacht bleiben und abwarten, was die Ärzte sagen“, meint sie. Ich höre die Sorgen in ihrer Stimme, und es tut mir leid, dass ich ihr und allen so viel Kummer bereite.

So viele Gesichter, Worte, Situationen und Gefühle tauchen in meinem Kopf auf, verschwinden, kommen zurück und vermischen sich zu einem Brei.

Gespräch mit der Assistenzärztin. „Das sieht nach einer waschechten Depression aus.“ Ach nee. Sie hat hübsche blonde Locken, ein glattes Gesicht und Silberschmuck. Wäre sie meine Kindergärtnerin gewesen, hätte ich sie geliebt, aber so? Seit ein paar Wochen nehme ich Fluoxetin, aber die Kindergärtnerin sagt, ich soll etwas nehmen, das müde macht, nicht aufputscht. Mirtazapin heißt das neue Mittel. Psychotherapie gibt’s hier nicht. Nur einschläfern also.

Ist es das, was ich will?

Ich soll morgen in die Werkstattgruppe, arbeiten, um das Gehirn abzulenken. Dort werden tatsächlich Körbe geflochten, mir kommen die Tränen.

Ich will nach Hause. Aber nicht nach Hause.

Zweiter Tag. Ich bin in einem neuen Zimmer. Mit Julia. Sie ist 24 und hat eine Psychose. Hypochonder. Ich war in der Werkstattgruppe und habe zu stricken angefangen. Es lenkt ab. Aber es ist auch erniedrigend. Und es gab keine schöne Wolle. Ich habe Altrosa genommen, das passt zum Klinikgefühl, finde ich.

Ich hatte Zeit. Zu viel Zeit. Wir sind doch immer gehetzt. Nie ist Zeit. Ich hatte zu viel. Zu viel von mir. Ich fühlte mich bedrängt und einsam zugleich.

Den Tag über war ich zuversichtlich, habe am Entspannungstraining teilgenommen und Lea kennengelernt. Sie ist 36, Lehrerin und hat auch eine Depression. „Ich sage lieber, ich bin todtraurig“, sagt sie.

Abendstunde im Speisesaal. Alle müssen sagen, wie’s ihnen geht. Eine ist sehr aggressiv, sagt mehrmals, dass sie übermorgen abgeholt wird und nicht mehr hier sein will. Vermutlich bleibt sie für immer. Eine andere wippt unentwegt mit dem Oberkörper. Ich sage nur, dass ich gut schlafen kann und in der Werkstattgruppe war. Wie soll mir das hier helfen? Wie kann eine Depression überhaupt geheilt werden? Ausreden kann man sie sich nicht.

Dritter Tag. Frühsport. Dehnen, strecken, Muskeltraining. Es tut gut. Ich soll jetzt doch auf die Kriseninterventionsstation. Hier, stationär, sei die Gefahr, dass man zu sehr herausgerissen wird und zu Hause doch wieder die gleichen Probleme meistern muss, sagt die Kindergärtnerin. Und auf der „Krise“, wie sie hier sagen, finden psychotherapeutische Gespräche statt. Die Frage ist, ob ich dafür stabil genug bin.

Ich denke an die Menschen, die sich in den vergangenen Wochen abgewandt haben. Sie waren überfordert. Das hat mich wütend gemacht und mich in meiner Misere bestätigt: Wenn es darauf ankommt, ist keiner da. Verdammt, ich bin krank! Aber ich war selbst überfordert. Und, das wird mir immer klarer: Ich scheine eine große Wirkung auf Menschen zu haben. Geht es mir schlecht, geht es ihnen schlecht. Mein Sog nach unten zieht mit. Und umgekehrt: Will ich feiern, feiern sie mit. Ich habe meine Außenwirkung wohl unterschätzt. Dabei habe ich ja auch eine große Wirkung auf mich.

Julia liest ein Fachbuch über Psychosen und macht sich Notizen.

Muss ich mich mehr informieren? Ich weiß nichts über Depressionen, nur das kleine Buch aus der Beck’schen Reihe habe ich gelesen. Aber hilft es, wenn man genauer weiß, was falsch läuft? Oder gibt einem das nur noch mehr Stoff zum Grübeln?

Vierter Tag. Umzug in die „Krise“. Ein schöner Altbau, es sieht weniger nach Krankenhaus aus. Morgens und abends Gruppenrunde, dazu ein Einzelgespräch mit einer Therapeutin. Dazwischen darf ich rausgehen, muss aber eine Ausgehkarte unterzeichnen lassen.

„Sie sprechen das Thema Trennung nicht an“, sagt die Therapeutin. Die Trennung habe doch meinen Zusammenbruch ausgelöst. Ja, nein, keine Ahnung.

Ich habe ihn eh nicht geliebt. Und doch hat es mich umgehauen. Aber es hätte auch etwas anderes sein können. Ich will nicht mehr an ihn denken, weil es nicht um ihn geht. Aber worum geht es?

Dann fragt die Therapeutin, was meine Familie denkt. „Sie nehmen Depression als einen Stoffwechselfehler im Gehirn“, sage ich. Und dass mich das wütend macht, obwohl ich es ihnen selber so erklärt habe.

Es ist ja auch schwierig zu erklären, dass da nur noch schlechte Gedanken sind, ich mich über nichts freue, immer die gleichen Fragen in meinem Kopf wälze und mir zugleich alles egal ist. Wie erkläre ich das, ohne zu sagen, dass ich permanent schlechte Laune habe? „Schlechte Laune gibt es nicht“, sagte mein Therapeut. Was ist es dann?

Die Therapeutin gibt mir eine Denkaufgabe: „Was würden Sie an sich ändern und in Beziehungen anders machen wollen?“

Pah. Genau das ballert mir doch dauernd durch den Kopf. Ständig mache ich Listen von Dingen, die ich ändern will, ohne davon etwas hinzukriegen: genießen können, Kritik nicht zu nah heranlassen, mich selbst nicht zu sehr zu kritisieren, weniger kämpfen, weniger Erwartungen haben, nicht so hart sein …

Fünfter Tag. Am Vormittag fahre ich in meine Wohnung. Es ist alles aufgeräumt, ich hatte meine Einlieferung ja geplant und mich ein paar Tage zuvor im Krankenhaus erkundigt, wie das geht.

Mir fällt auf, dass ich mir weniger Notizen mache als in den ersten Tagen, weiß aber nicht, ob das ein gutes Zeichen ist.

Am Nachmittag wieder die Therapeutin. Sie fragt: Bekommen Sie keine Nähe und Zuneigung oder können Sie keine annehmen?

Nähe zulassen, das ist doch Küchenpsychologie. Es darf nicht so banal sein, was mir widerfährt!

Zum Glück kann ich schlafen.

Sechster Tag. Eine neue Patientin kommt in die Krise. Sie ist mir unsympathisch. In der Gruppenrunde am Abend finde ich Widersprüche in ihrer Erzählung und halte sie ihr vor. Eine Krankenschwester greift ein: „Hier darf jeder erzählen, wir versuchen, nicht zu urteilen.“ Na gut.

Die Therapeutin fragt mich: „Warum bekommen Sie nie das Richtige, warum werden Ihre Erwartungen ständig enttäuscht?“ Weil die Erwartungen zu hoch sind, weil es die falschen sind, weil sie nur vorgeschoben sind und ich etwas anderes möchte, weil es das Richtige gar nicht gibt, weil niemand erfüllen kann, was ich erwarte, antworte ich.

Nur Lösungen habe ich keine.

„Gehen Sie immer so rational mit Ihren Gefühlen um?“ Ja.

Ist das ein Problem?

Später treffe ich einen Freund zum Tischtennisspielen. Ich gebe mich abgeklärt: Ich habe mich gekümmert und mich selbst eingeliefert. Ich bin halt krank, musste was tun. Nun wirken die Medikamente, und ich kann mich dem Problem widmen. Vielleicht ist es nur ein Stoffwechselfehler im Gehirn, der wieder verheilt. Wer weiß das schon?

Siebter Tag. Ich gehe nach Hause.

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28 Kommentare

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  • C
    Como

    Was macht (welche Macht) es für einen Sinn, so weiter zu leben wie bisher?

     

    ~

     

    Wenn uns klar wird, daß die Lösung nur in uns selbst steckt, fangen wir oft unmittelbar an, das PROBLEM lösen zu wollen statt eine Lösung zu finden.

  • E
    Einer

    einer der besten Artikel seit Jahren( !) in der taz,

    auch in den Mängeln. Er regt aber durch die Art der Darstellung und die möglichen Schwächen der Therpeuten zu einer Diskussion an. Bravo!

    "Anna" wünsche ich alles Gute und grüße sie mit einem Zitat, dass mir einmal ein ehemaliger Militärarzt der NVA (von denen ich eigentlich gar nichts hielt) sagte: "Wer über manchen Dingen den Verstand nicht verliert, hat keinen zu verlieren."

    Damit half er mir über eine falsche Scham, mir helfen zu lassen, hinweg.

  • HR
    Hans Ridder

    @anke: Die Analogie mit Pferd/Kamel paßt hinten nicht, vorne nicht und in der Mitte auch nicht. Jedes Wort dazu wäre nur Zeitverschwendung.

  • SK
    Selbst Kontakt

    >> Ich will nach Hause. Aber nicht nach Hause. > Die Therapeutin gibt mir eine Denkaufgabe: „Was würden Sie an sich ändern und in Beziehungen anders machen wollen?“

  • H
    Hamalil

    Ein sehr interesantes Protokoll!

     

    Ich war auch mal stationär eigewiesen worden wegen einer Depression und dieses Protokoll spiegelt auch meine Gedanken und Zweifel über mich selbst und den Aufenthalt dort sehr gut wider.

     

    Hat mich gefreut zu lesen, dass man nicht alleine vor sich hin zweifelt, ob dieses kritische Denken über die Welt zu einem gehört oder auch nicht. Meine Erkenntnis war, dass es zwar eine bitterböse Wahrheit über die Welt und über die Menschheit gibt, aber nicht daran verzweifeln darf, sondern handeln muss.

  • TT
    @Thaddäus T.

    "Vielleicht hatte ich Glück, vielleicht waren aber auch meine Ansprüche nicht so vermessen, dass ich mir den/die Retter_in meines Lebens erwartet habe ..."

     

    Mit Erwartungen muss das nichts zu tun haben, eine solche Bedeutung kann einem Therapeuten erst nach Überwindung der und nachträglichen Reflektion über die Krise zukommen. Sie begreifen als Betroffener sicher, dass Krise nicht gleich Krise ist, und es eben schon mal ums große Ganze gehen kann...

     

    Leider differenzieren Sie genauso wenig, wie die von Ihnen so scharf kritisierten "Psychologen-Basher". Dabei geben Sie sich den Anschein von Expertentum als "Beschäftigungsgeber". Dann müsste Ihnen doch klar sei, wie stark die Qualität der Arbeit von TherapeutInnen und Psychiatern variiert.

    Mir hat mal eine Psychoanalyterin (Buchautorin) erzählt, sie hätte immer wieder mit KlientInnen zu tun, die in vorangegangenen Therapien Schaden gelitten hätten.

     

    Eine andere (ebenfalls Buchautorin und Wissenschaftlerin), die mich therapiert hat, nahm sich mehrfach "Fälle" an, mit denen Kollegen überfordert waren (ich gehörte übrigens nicht dazu).

     

    Ich stimme Ihnen zu: Wer sich für diesen Beruf entscheidet und gute Arbeit macht, verdient Hochachtung. Leider stoßen eben einige Helfer in Therapieverläufen früh an ihre Grenzen und wälzen ihr Scheitern auf Klienten ab oder, was noch schlimmer ist, benutzen sie als Krücke zur Bewältigung eigener Störungen.

     

    Etwas mehr Aufrichtigkeit wäre angebracht.

  • M
    Michael

    Von Temper: "Aber Tip: Kein Alkohol (wichtig) und Kiffen ist auch eher Tabu (besser die Teile bleiben zusammen). Schauen worauf man sich besseren Wissens eingelassen hat und die eigene Souveränität wieder auf die Beine stellen. Einige Gefühle, die sich festgesetzt haben und einem in Weg stehen, kann man auflösen indem man sich auf sie konzentriert."

     

    Dem ist sehr beizupflichten. Die eigene Souveränität auf die Beine stellen - dafür gibt es Hilfe durch viele viele Gespräche mit Mitbetroffenen. Aber der Kopf muß klar sein und das 'Funktionieren' nicht nach aussen gerichtet sein. Sich selber mögen lernen ist auch sehr hilfreich.

     

    Bitte mehr solcher Beiträge und Themen (wie der Bericht von Daniel Schreiber, z.B.)!

  • A
    Alice

    Meine Despressionen begannen sehr früh-jetzt bin ich 70. Ob es daran lag, dass ich mit einem Jahr meine Mutter verlor und adoptiert wurde, weiss ich nicht. Ich soll danach lange Zeit trotz grösster Bemühungen nicht gelacht haben.Als 7Jährige wurde ich über einige Jahre von einem Nachbarn missbraucht, was ich damals niemandem erzählen konnte..

    Durch meinen Beruf,den ich sehr liebte, der mich aber viel auf Reisen brachte,konnte ich keine Therapie konsequent durchführen. So verlor ich immer wieder meine Partner, weil ich nicht fähig war, mit meinen Gefühlen, meiner starken Verletzbarkeit, meinen Ängsten umzugehen.Nachdem ich einen Beruf gefunden hatte, der mich stärker an einen Ort band, konnte ich eine längere Therapie beginnen.Erst Gesprächstherapie, die nur momentan über die Tiefs hinweghalf, dann Analyse.Dazwischen Selbsteinweisung in eine Tagesklinik, da ich nicht mehr aufhören konnte, zu weinen.In der Analyse,die über 3 Jahre lief, habe ich viel über mich und die Menschen gelernt. Ich habe sie nicht beenden können,da der junge Analytiker -er stand ganz am Anfang seiner Praxis- m.E. der Komplexität meines Falls noch nicht gewachsen war.Aber er hatte mir endlich das Gefühl gegeben, verstanden zu werden.Trotzdem kamen immer wieder Rückfälle, die mir meine Arbeit erschwerten. Endlich verschrieb mir meine Hausärztin Trevilor und meinte, das würde ich wohl mein weiteres Leben immer brauchen.: Serotoninmangel!Seit ich dieses Medikament nehme,fühle ich mich endlich wie der Mensch, der ich gerne sein möchte: ausgeglichen,fröhlich,gutgelaunt, belastbar,und nicht mehr so grundlos traurig und hoffnungslos wie früher. Durch meine Analyse habe ich so viel gelernt, dass ich jetzt auch für andere Menschen dasein kann, weil ich verstehe, was in ihnen vorgeht.

  • MI
    (Massen)Selbstmord ist wichtig

    Sozusagen eine nachgeburtliche Abtreibung.

    Depression ist was völlig normales für imperialistische Überbevölkerung, vor allem weil die Natur eh nur ein biologisches Alter von maximal 32 vorsieht.

    Widerlich sind allerdings diese ganzen Glücklichen, denen es nur gut geht, weil sie auf Kosten der Welt leben, denn außer ein paar tausend Bauern, kann sich in der 1. Welt niemand selbst versorgen.

  • A
    anke

    @Hans Ridder:

    Wenn ein Pferd in der Wüste nach drei Tagen ohne Wasser tot zusammenbricht, ein Kamel hingegen zwei Wochen lang stoisch seine Lasten trägt, ohne auch nur einen Tropfen zu trinken, leidet das Pferd dann an einem Stoffwechselfehler?

     

    Anpassungsprobleme können Menschen (anders als Pferd oder Kamel) auf zwei Arten bewältigen: Durch eine Änderung des eigen Verhaltens und durch Änderung der Umgebung. Menschen (auch vermeintlich gesunde) sind nämlich zur rationalen Reflexion UND zur Empathie fähig. Sie können nicht bloß warten, dass die Natur (auch die ihrer Mitmenschen) sich von selber ändert - oder sterben. Sie können aktiv Einfluss nehmen.

     

    Wenn Anna Ridder tatsächlich glaubt, sie hätte so etwas wie eine "Außenwirkung", dann sollte sie die vielleicht nutzen. Ausreden nämlich kann man sich eine Depression vermutlich wirklich nicht. Auch nicht lassen. Aus einem Pferd, schließlich, wird selbst mit viel gutem Zureden und noch mehr Chemie kein Kamel. Man kann aber durchaus leben mit seiner Disposition. Die Frage ist nur, ob sie einen lassen. Von sich aus nämlich gehen Pferde gar nicht in die Wüste. Solche Fehler machen nur Menschen ohne Hirn.

  • M
    Martin

    Auch ich war auf eigenen Wunsch anfang des Jahres in stationärer Behandlung. Es dauert immer in bisschen, bis man sich in die Situation eingewöhnt hat. Ich hatte das Glück, auf einer station mit gleichen Krankheitsbildern zu sein. Aus der Erfahrung weiß ich, dass man sich mindestens zwei-drei Wochen geben sollte, bis man eine Entscheidung über einen evtl. Abbruch der Therapie trifft. Die ersten zwei Wochen habe ich mich auch immer wieder gefragt, was ich da soll, ob ich so krank bin etc.

  • S
    SMontag

    Ich hatte mit Mitte 20 heftige Depressionen mit Angstzuständen - und dank meines damaligen Freundes und meiner Abneigung gegen die Psychatrie habe ich mich nicht selbst in selbige eingeliefert, sondern über dass FFGZ eine Therapeutin gefunden, mit der ich einiges Belastendes, Muster und Ängste aufarbeiten konnte.

    Ich habe im Freundes- und Bekanntenkreis einige Male beobachtet, wie andere mit Angstzuständen, Zusammenbrüchen und Ähnlichem von Ärzten sofort medikamentiert wurden und jahrelang auf Psychopharmaka waren. Die Psychopharmaka machten die Leute in der Regel dick und langsam... zwar haben sich alle irgendwann wieder im Leben eingefunden (aber oft nie wieder ganz hergestellt), aber ich habe mich immer gefragt, ob in einer Krise die meisten nicht hätten anders aufgefangen werden können...

    Ich stimme einem der anderen Schreiber zu, daß in unserer Gesellschaft ein erhebliches Defizit herrscht, mit Menschen in Krisen anders umzugehen als sie auszugrenzen, zu Ärzten zu schleppen, um sie zu medikamentieren oder gleich in die Psychatrie.

    Da gilt es noch viel zu ändern, vor allem die Angst vor der Angst, vor Tränen und Emotionen, die muß wirklich weg.

  • TT
    Thaddäus Tentakel

    P.S.:

     

    Psychologen-Bashing ist albern und richtig klein.

    Etwa so, wie über die Post, die Bahn, die Beamten, die Politiker meckern.

    (Kleinster gemeinsamer Nenner unter Leuten, die sich sonst nichts mitzuteilen haben außer ihrem armseligen Gemecker -- scnr.)

     

    Als zeitweiser Klient kann ich den Angehörigen der "Psycho-Berufsgruppe" nur allerhöchsten Respekt zollen und Dankbarkeit (sic!) aussprechen. Vielleicht hatte ich Glück, vielleicht waren aber auch meine Ansprüche nicht so vermessen, dass ich mir den/die Retter_in meines Lebens erwartet habe ...

     

    Es wird, trivialerweise gesagt, auch bei den Psycho-Beschäftigten solche und solche geben, wie bei Lehrern, Schustern und Klempnern halt auch. Aber sich als Psychotherapeut_in bis zu sechs Stunden am Tag hochkonzentriert das oftmals recht anstrengende und redundante Leiden der Klienten anzuhören, ist eine großartige Leistung, die gesellschaftlich viel zu wenig gewürdigt wird (und noch nicht einmal gut bezahlt wird)!

     

    Ich bin kein Beschäftigter in dieser Branche, eher ein Beschäftigungsgeber, und denke an alle Psychater_innen und Psychotherapeut_innen mit denen ich es in den letzten 15 Jahren zu tun hatte, mit großer Hochachtung.

  • A
    aurorua

    Das schlimmste an psychischen/neurologischen Erkrankungen ist, dass kaum ein Arzt/in, ein Psychologe/in, ein Therapeut/in, ein Pfleger/in jemals selbst ein derartiges Leiden an sich selbst erfahren hat und somit jegliche Form aufrichtiger Empathie unmöglich ist. Schulweisheiten, Studien und Buchwissen ermöglichen keinen wirklichen Zugang zum Patienten und somit auch keine nachhaltige Hilfe.

     

    Chemische Ketten können gelegentlich zwar etwas dämpfen und den Betroffenen vor dem Schlimmsten (Suizid, Autoagression und Agression) bewahren, aber auch das sind bloss unausgegorene Krücken und keine Heilmittel. Hinzu kommt eine Gesellschaft die "IRRE" gnadenlos ablehnt und aus grenzt, das spüren die Betroffenen sehr intensiv wodurch es ihnen nur noch schlechter geht. Alle sogenannten "Hilfen" zielen letztlich nur darauf ab auch mit diesen kranken Menschen wirtschaftlichen Profit zu generieren.

     

    Obendrein wird die Angst in der Gesellschaft vor psychisch kranken Personen rigoros und massiv geschürt. Der Irre der mit einem Messer auf jemanden los geht ist immer eine Titelseite wert, der harmlose Irre (sicherlich die überwiegende Mehrzahl) der ein Kind vor dem ertrinken bewahrt ist keine Zeile wert.

  • TT
    Thaddäus Tentakel

    Ein sehr interessantes Protokoll, habe mich in vielem wiedererkannt. So ist das wohl mit dieser Krankheit.

    "Anna" wünsche ich alles Gute!

  • VV
    Verus Votum

    War selbst mal auf einer geschlossenen Station und sehe den Betrag gemischt. Zum Teil typische Klischees, die entweder wirklich in Berlin alle bedient werden oder die Autorin hinzugedichtet hat damit es "Gewöhnter" klingt. Siehe dazu auch das Teaserbild.

     

    Zugleich aber das typische unseriöse Psychologengefasel welches ich auch ertragen musste: Suggestivfragen, rethorische Fragen, jede Frage dient zur Bestätigung einer Theorie egal wie die Antwort ausfällt...

     

    Also an alle die keine Erfahrung damit haben:

    Therapie ist gut, Psychologie ist schlecht.

    Meine Erfahrungen mit Psychologen sind noch schlechter als die, die hier nur ansatzweise beschrieben werden.

  • WB
    Wolfgang Banse

    Psychiatrie Kliniken sind Verwahranstalten ,Diese sollten grundsätzlich reformiert werden.Manche und mancher ist verrückt aus den Psychiatrischen Kliniken herausgekommen.Medikamente die ruhigstellen sind nicht das Allheilmittel und sollten dies auch nicht sein.

  • F
    Freigeist83

    Liebe "Anna Ridder",

     

    ich wüsste gern, wie es dir heute geht. Ob dir doch noch jemand helfen konnte.

    Wer es war, ein Psychotherapeut oder jemand vollkommen anderes.

    Traumatische Ereignisse in meiner Kindheit führten dazu, dass ich über zehn Jahre mit depressiven Episoden zu kämpfen hatte,jetzt bin ich 29. Vor einem halben Jahr habe ich eine Verhaltenstherapie begonnen und fühle mich heute wesentlich besser.

     

    Es geht mir nicht immer gut, aber ich kann jetzt deutlich besser damit umgehen, wenn es nicht so ist. Als Fazit habe ich für mich daraus mitgenommen, dass die Therapie zu 50% Anteil an meiner Besserung hatte und die anderen 50% liegen in mir selbst (meiner Einstellung, meinem Mitgefühl für mich selbst und der Tatsache, dass ich Menschen anders an mich heranlasse - näher und offener).

    Wie deine persönliche Geschichte weiterging (da dein Aufenthalt in der Psychiatrie ja drei Jahre her ist), würde mich sehr interessieren.

    Vielleicht lässt du uns daran teilhaben.

     

    Mit Dank und herzlichen Grüßen,

    S.

  • A
    Ach

    '„Eine schwere Depression ist nicht therapierbar. Ich kann Ihnen nicht helfen. Wir brauchen einen Anknüpfungspunkt“, hatte der Therapeut gesagt. Darum bin hier.'

     

    Wer weinen kann ist klar im Vorteil. Jedenfalls meinte das seinerzeit meine mein Leben rettende Psychoherapeutin.

     

    Ihr Therapeut hat wohl Angst vor Ihren Gefühlen gehabt. Sehr schade. So ist eine wichtige Chance vertan worden, die Ihnen den Aufenthalt in der Klinik und die Medikamtierung wahrscheinlich hätte ersparen können.

  • A
    Anne

    "Krise" - eine gute Idee, denke ich. Auch andere teilstationäre Angebote wie etwa Tageskliniken wirken einer "Ghettoisierung" psychisch Erkrankter entgegen. Ob diese Erkrankungen "Leben" heißen, wie oft habe ich mich das schon gefragt ...

  • R
    robert

    ja ne is klar.. alle die kein Amalgam vertragen werden halt in die Klapse abgeschoben und mit einer gruseligen Diagnose gelabelt. ....

  • D
    Dusseltierchen

    '„Eine schwere Depression ist nicht therapierbar. Ich kann Ihnen nicht helfen. Wir brauchen einen Anknüpfungspunkt“, hatte der Therapeut gesagt. Darum bin hier.'

     

    Wer weinen kann ist klar im Vorteil. Ihr Therapeut hat Schiss vor Ihren Gefühlen gehabt. Sehr schade. So ist eine wichtige Chance vertan worden.

  • S
    Satorihans

    Es gibt auch Kliniken mit "therapeutischer Gemeinschaft". Da sollte man aber mindestens 6 Wochen bleiben. Eine Depression, die man sich 40 Jahre lang geschaffen hat, braucht schon ein paar Jahre geheilt werden zu können. Aber wenn der Anfang gemacht ist, sich selbst zu achten und auch in der Lage sich selbst zu beobachten, dann gibt es laufend Fortschritte und das Destruktive können wir mehr und mehr nicht zulassen.

  • F
    fan

    Ein ganz große Kompliment nicht nur für diesen Text sondern die gesamte Ausgabe vom Dienstag 8. Januar. Sehr gute Idee, die Zeitung mit "was ich immer schon mal schreiben wollte"-Texten zu füllen.

     

    Hab schon lange nicht mehr eine Zeitung so komplett von vorne bis hinten durchgelesen und sie extra abends um 21 Uhr nochmal vorgekramt. Gerne mehr so gesetzte Themen und persönliche Texte!

  • T
    temper

    Ich nehm' keine Psychopharmaka und werd' es auch nicht tun und werde auch niemals einen Psychologen aufsuchen. Also alles etwas anders. Aber Tip: Kein Alkohol (wichtig) und Kiffen ist auch eher Tabu (besser die Teile bleiben zusammen). Schauen worauf man sich besseren Wissens eingelassen hat und die eigene Souveränität wieder auf die Beine stellen. Einige Gefühle, die sich festgesetzt haben und einem in Weg stehen, kann man auflösen indem man sich auf sie konzentriert.

     

    Dabei nicht vergessen: der Körper ist der Tempel (sich daran erinnern wie es ist sich im eigenen Körper wohl zu fühlen, ist wichtig). Und in allen Zuständen funktioniert das leider nicht, dann muss man das Chaos halt aushalten, wird aber immer effektiver mit der Zeit. Wenn man 'nen Empath ist, und danach sieht es ja aus, kann man sich auch einigermaßen darauf verlassen, dass man wieder auf die eigenen Beine fällt. Naja, bin 'nen Mann und muss zum Glück nicht funktionieren (auch wenn ich es im erträglichen Rahmen wohl tue)... so komm ich da jedenfalls durch...

  • G
    Gerd

    "Einwandfreies Funktionieren ist in einer durch und durch kranken Gesellschaft kein Zeichen geistiger Gesundheit"

     

    Ich weiß zwar nicht mehr, von wem das Zitat ist, aber ich finde es sehr passend!

  • D
    Depri

    Mehr davon. DAS sind die wichtigen Themen - nicht Wulff.

  • HR
    Hans Ridder

    "Vielleicht ist es nur ein Stoffwechselfehler im Gehirn, der wieder verheilt. Wer weiß das schon?" Ich!

    Ich habe seit 25 Jahren wiederkehrende Depressionen. Über 250 Stunden Psychotherapie haben überhaupt keine langfristige Besserung oder gar Heilung gebracht. Nach 14 Tagen Einnahme von Serotoninwiederaufnahmehemmer gehts mir jedesmal bestens. QED. Also: "Depressionen sind ein Stoffwechselfehler im Gehirn, der nie wieder verheilt." Meine Erfahrung.(YEMV (= Ihre Erfahrung mag anders sein)).