piwik no script img

Protokoll Mai 68 in ParisEin Moment des Aufbruchs

Sie protestierten gegen den Vietnamkrieg und wollten eine bessere Organisation der Unis. So war der Pariser Mai aus der Sicht einer Demonstrantin.

Die militanten unter den Student*innen warfen schon auch mal mit Stühlen – oder mit Steinen Foto: ap

Was bleibt für mich aus dem Jahr 1968? Unser Protest gab mir die Möglichkeit, selbst das Wort zu ergreifen und mich für Frauen- und Menschenrechte einzusetzen.

Er hat nicht erst im Mai 68 begonnen, sondern schon 1967. Ich war an der Fakultät für Sprachwissenschaften der Sorbonne eingeschrieben und in der Studierendengewerkschaft Unef aktiv, wo wir seit Monaten gegen den Vietnamkrieg demonstrierten und uns für eine Verbesserung der Studiensituation einsetzten.

Am 3. Mai 1968 kam es im Pariser Quartier Latin zu den ersten Ausschreitungen. Wir verteilten Flugblätter aus Solidarität mit den Arbeiter*innen in ganz Frankreich und protestierten gegen die Festnahme einiger Studierender ein paar Tage zuvor. Einige der militanteren Gruppen warfen mit Stühlen.

Die Lage zwischen Polizei und Demonstrierenden spitzte sich in den folgenden Tagen immer weiter zu – bis die Studierenden am 10. Mai einfach nicht mehr weichen wollten. Sie ­fingen an, den Gehweg der Rue Gay-Lussac auseinanderzunehmen und eine Barrikade aufzubauen. Da war dieses großartige Gemeinschaftsgefühl, dieser Enthusiasmus unter den Studierenden. Gleichzeitig war es beängstigend, denn die Polizei war nicht weit entfernt – und sie setzte massiv Tränengas ein. Als wir uns am frühen Morgen des 11. Mai auflösten und in die U-Bahn stiegen, hatten wir stark gerötete Augen.

Françoise Bonnot-Jörgens

74, war im Mai 1968 in den Pariser Studierendenprotesten dabei. Heute fördert sie in der Association pour l‘autobiographie (APA) persönliche Erzählungen von historischen Ereignissen. Sie selbst schrieb im Buch „Filles de mai 68. Mon mai à moi“ über ihre Erlebnisse im Mai 1968 in Paris.

Die Menschen auf dem Weg zur Arbeit sahen uns fast neidisch an. Auch sie wollten demonstrieren. Das taten sehr viele dann am 13. Mai: Ein Demonstrationszug von fast einer Million Menschen lief durch Paris.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Zeitleiste Mai 68 in Frankreich

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Die Sorbonne wurde schließlich von der Polizei geräumt, und mit den Sommerferien 1968 verliefen die Demonstrationen langsam im Sande. Man organisierte sich jetzt anders, baute Stände an den Universitäten auf und formte Kommissionen zur Reform des Hochschulsystems. Die Kommissionen waren für mich wie für viele andere Frauen die Chance, mich in der Öffentlichkeit zu äußern. Mir ist es gelungen, meine Schüchternheit abzulegen. Für uns Frauen war das ein Moment des Aufbruchs. Es gab zwar schon zuvor eine Frauenbewegung, aber viele würden sich von nun an erst richtig engagieren.

Ich selbst bin nie so richtig in der Frauenbewegung aufgegangen. Sie erschien mir oft zu aggressiv gegenüber Männern. Aber dennoch: Ich bin in diesem Moment stärker geworden. Ich habe mich endlich getraut, etwas zu sagen und für meine Rechte einzustehen.

Protokoll: Belinda Grasnik

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!