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Proteste in SerbienMit Lärm gegen Vučić

Seit Tagen demonstrieren immer mehr Serben aus dem coronabedingten Hausarrest gegen den Präsidenten. Der herrscht mittlerweile allein.

Ausgangsperre in Belgrad Foto: dpa

Belgrad taz | Um 20.05 Uhr geht Aleksandra Cimpl (54) auf die Terrasse und schlägt mit einem Kochlöffel kraftvoll auf einen Topf. Auch ihre Nachbarn greifen zu Töpfen und Pfannen, gehen ans Fenster und machen Lärm. Manche pusten in Trillerpfeifen, irgendwo in der Ferne hört man ein Blasinstrument, ein Trommler gibt den Ton an, aus Lautsprechern dröhnt laute Musik.

Ab 18 Uhr herrscht in ganz Serbien Polizeistunde, es gibt keinen Verkehr. Die unheimliche Nachtstille in der Zwei-Millionen-Einwohner-Stadt Belgrad wird nur von dem dissonanten Protestorchester gestört. „Mit Lärm gegen Diktatur“ heißt die Aktion, die am vergangenen Sonntag startete.

In wenigen Tagen breitete sich der lärmende Protest auf viele serbische Städte aus und wurde immer lauter. Auf sozialen Netzwerken posteten Demonstranten aus dem kollektiven Hausarrest Videos aus ihrer Nachbarschaft. Mittlerweile ist daraus ein Wettbewerb geworden – unter dem Motto: Wer mit mehr Dezibel gegen die rigorosen Ausgangssperren, das Regime oder beides demonstriert.

„Ich protestiere nicht gegen die Corona-Maßnahmen, sondern weil ich Aleksandar Vučić nicht ausstehen kann“, sagt Cimpl. Der serbische Staatspräsident habe die Macht usurpiert, sich über Parlament, Regierung, Verfassung und die Gesetze gestellt sowie die Medien gleichgeschaltet, erklärt die alleinerziehende Mutter, die als Schriftstellerin und Übersetzerin arbeitet. Vučić' alltägliche aggressive, melodramatische Tiraden könne sie einfach nicht mehr hören.

Parlament ausgeschaltet

Mitte März wurde in Serbien das Parlament ausgeschaltet, der Ausnahmezustand mit den europaweit härtesten Maßnahmen gegen das Coronavirus ausgerufen. Werktags galt von 17 bis 5 Uhr morgens Polizeistunde, an Wochenenden dauerte die allgemeine Ausgangssperre bis zu 48 Stunden. Menschen, die älter als 65 Jahre sind, durften einen ganzen Monat lang das Haus überhaupt nicht verlassen.

Die menschenrechtlich und gesetzlich fragwürdigen Maßnahmen zeigten allerdings Wirkung: Serbien kam bisher in der Pandemie fast ungeschoren davon. Die Maßnahmen wurden in den vergangenen Tagen ein wenig gelockert.

Doch der Groll bei vielen Bürgern Serbiens blieb, nicht nur wegen der massiv eingeschränkten Bewegungsfreiheit, sondern auch weil der ohnehin überdominante Präsident Vučić seit dem Beginn des Ausnahmezustands den gesamten politischen und öffentlichen Raum beherrscht. Die hinter der parlamentarischen Demokratie versteckte Autokratie zeigte unverhüllt ihr wahres, unschönes Gesicht, schrieb etwa das Wochenmagazin Vreme: Es gehe einzig und allein um die Herrschaft eines Mannes.

Der „Lärm gegen die Diktatur“ ist eine Fortsetzung der monatelangen Bürgerproteste im Vorjahr, die im Sommer abflauten. „Dieser spontane Aufstand, dieser Lärm ist Ausdruck der aufgestauten Wut vieler Bürger wegen der im Land herrschenden Rechtslosigkeit und der Arroganz des Regimes“, erklärt der Politologe Vuk Velebit und sagt: Je lauter der Lärm, je breiter der Protest, desto geringer werde die Angst der Bürger.

Eiserne Disziplin

Mit rund 700.000 Mitgliedern ist die Serbische Fortschrittspartei (SNS) von Vučić die mit Abstand stärkste Partei in Serbien. In der SNS herrscht eiserne Disziplin, dissonante Töne sind nicht zu hören. Als unantastbarer Parteichef, der Kritik nicht duldet, kontrolliert Vučić das Parlament, die Regierung, staatliche Institutionen, einen Teil der Justiz und herrscht praktisch allein.

Gleichgeschaltete Medien bauen um ihn den Kult des Volksführers auf, der unermüdlich für das Wohlergehen seines Volkes und gegen die Pandemie, finstere Machtzentren, böse Tycoons, Spione, Kriminelle oder ausländische Söldner kämpft. Feinde sind alle Andersdenkenden, die sich ihm nicht gebeugt haben. Es scheint, als ob serbische Minister die Pflicht hätten, sich andauernd für irgendetwas bei Vučić zu bedanken.

Wegen der Pandemie wurde die serbische Parlaments- und Kommunalwahl verschoben. Sobald der Ausnahmezustand aufgehoben wird, soll die Wahlkampagne fortgesetzt werden. Gewählt werden könnte Ende Juni oder Anfang Juli. Vor allem wegen mangelnder Medienfreiheiten wird ein Teil der Opposition die Wahl boykottieren.

Angesichts der Wahlen stört der „Lärm gegen die Diktatur“ das Bild von einem dankbaren Volk und einem Volksführer, der den „Krieg gegen das Coronavirus“ gewonnen hat.

So hat die SNS ihre eigene Aktion gegen die Anti-Diktatur-Proteste gestartet: Am Mittwoch abend um 20.30 Uhr gingen SNS-Aktivisten mit Fackeln in der Hand in vielen Städten auf die Dächer von Häusern und skandierten Beleidigungen gegen die Opposition. Das orangerote Feuer in der Nacht, die bedrohlich wirkenden Männer mit Fackeln in den Händen erinnerten an eine szenografische Gestaltung von Leni Riefenstahl.

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