Proteste in Iran: Billiges Benzin statt Sozialstaat
Günstige Energiepreise haben in Iran eine soziale Bedeutung. Die Revolutionsgarden erklären die Unruhen inzwischen für beendet.
Wegen der Krise hatte die iranische Regierung am Wochenende zu einem drastischen Mittel gegriffen und das gesamte Land fast vollständig vom Internet abgekoppelt. Nur wenige Videos, Fotos und Berichte dringen nach außen, Internetzugang gibt es nur zu einigen vom Staat kontrollierten Webseiten. Deshalb können weder die iranischen noch ausländische Angaben verifiziert werden. Obwohl vom Ende der Unruhen die Rede ist, bleibt das Internet „bis auf weiteres“ gesperrt. Die Entscheidung der Regierung deutet das Ausmaß der Krise im Land an. Offenbar fühlt sich das Regime ernsthaft bedroht.
Auslöser der jüngsten Protestwelle war die am vergangenen Freitag von Präsident Hassan Ruhani verkündete Erhöhung des Benzinpreises. Künftig sollen Iraner monatlich nur noch bis zu 60 Liter Benzin für einen Preis von 15.000 Rial statt bisher 10.000 Rial pro Liter tanken können – das ist eine Preissteigerung von 50 Prozent. Jeder weitere Liter kostet nunmehr 30.000 Rial, also das Dreifache des bisherigen Preises. Zum Vergleich: Ein Euro entspricht aktuell 132.000 Rial. Verzeichnet wird der Verbrauch auf der im Jahr 2007 eingeführten staatlichen Benzinkarte.
Zwar ist Benzin – zumindest die ersten 60 Liter – in Iran damit im weltweiten Vergleich noch immer spottbillig – nur in Venezuela lässt sich günstiger tanken. Doch der Schritt fällt in eine Zeit, in der viele Iraner mit den Folgen der Wirtschaftskrise zu kämpfen haben. Außerdem hat die Regierung die Entscheidung schlecht vorbereitet und kommuniziert.
Sprecher der Revolutionsgarden
Der Oberste Rat für Wirtschaftskoordination, dem neben Präsident Hassan Ruhani Justizchef Ebrahim Raisi und Parlamentssprecher Ali Larijani angehören, fällte das Votum gegen den Willen des Parlaments. Eine gesellschaftliche Debatte fand nicht statt – und bei einer nichtöffentlichen Aussprache im Parlament Anfang Oktober blieben alle Minister fern. Als Ausgleich sollen 18 Millionen einkommensschwache Haushalte Direktzahlungen bekommen. Doch das ist offenbar „too little, too late“.
Ein Drittel weniger Ölproduktion
Dabei kommt die Reform alles andere als unerwartet. Die Regierung war gezwungen zu handeln, denn die iranische Wirtschaft wird laut Internationalem Währungsfonds (IWF) im Jahr 2019 um 9,5 Prozent schrumpfen. Wegen der von Trump verhängten Sanktionen ist die Ölproduktion des Landes laut jüngstem OPEC-Bericht um über ein Drittel eingebrochen, die Landeswährung hat die Hälfte ihres Wertes verloren, und die Lebenshaltungskosten sind durch Inflation und die Verteuerung von Konsumgütern gestiegen, auch wenn sich die Werte inzwischen auf niedrigem Niveau leicht erholt haben. Betroffen ist vor allem die breite Masse der Bevölkerung, von der schätzungsweise zufolge zwischen 25 bis 50 Prozent unterhalb der Armutsgrenze lebt – verlässliche Daten gibt es nicht.
Die Beteuerung von Regierungssprecher Ali Rabei, der Schritt wäre auf jeden Fall gekommen, „Sanktionen hin oder her“, ist deshalb allenfalls die halbe Wahrheit. Ganz abwegig ist sie dennoch nicht. Denn einerseits sieht die Regierung sich trotz allem wirtschaftlich vorerst stabilisiert. Erst am Tag vor der Erhöhung der Benzinpreise hatte Präsident Ruhani gesagt, man habe „die Krise durchgestanden“, also das Schlimmste hinter sich. Das Kalkül dahinter beschrieb der Politökonom Said Leylaz von der Teheraner Shahid-Beheshti-Universität in der Financial Times: „Die Stabilität der Wirtschaft hat der Regierung geholfen, endlich den Schritt der Benzinpreiserhöhung zu wagen.“
Andererseits gibt es neben den Problemen, die die US-Sanktionen verursacht haben, grundlegendere Defizite. Wie in anderen Ländern der Region sind in Iran Energiesubventionen ein Ersatz für fehlende soziale Sicherungsnetze. Steigende Energiepreise haben praktisch automatisch sozialen Unmut zur Folge. Subventionen setzten aber auch falsche Anreize, da Privathaushalte mit hohem Energieverbrauch stärker bezuschusst werden. Außerdem fördern sie Wirtschaftszweige, die viel Energie verbrauchen. Besonders stark sind die Folgen im rohstoffreichen Iran. Laut Angaben der Internationalen Energieagentur fließen stolze 15 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in die Subventionierung von Öl, Gas und Strom – nur in Venezuela und Usbekistan ist der prozentuale Anteil höher.
Schon Ahmadineschad erhöhte die Benzinpreise
Subventionen sind älter als die Islamische Republik; sie wurden jedoch im Iran-Irak-Krieg der achtziger Jahre stark ausgebaut. Das hat nicht nur ökologische Konsequenzen, sondern lässt auch den Schmuggel florieren. Es gehört zum bekannten Mantra von Organisationen wie der Weltbank oder dem IWF, dass derartige Subventionen gestrichen gehören.
Es war Mahmud Ahmadineschad, der als Präsident im Jahr 2010 eine umfassende Energiereform umgesetzt hatte. Anders als die Ruhani-Regierung kommunizierte er die Erhöhung der Kraftstoffpreise damals mit einer breit angelegten Kampagne. Die Botschaft an die Bürger: Benzin wird teurer, doch dafür gibt es Ausgleichszahlungen für arme Haushalte. Weil aber flankierende finanzpolitische Maßnahmen fehlten, stieg die Inflation in den folgenden Jahren stark an.
Die Ruhani-Regierung stellte diese – wie sie es nannte – „irrationale Praxis“ aus höheren Benzinpreisen und Ausgleichszahlungen 2016 ein. Nun ist die Regierung zu ihr zurückgekehrt. Bislang ist nicht zu erkennen, dass der Unmut der Menschen dadurch gebändigt werden kann.
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