Proteste in Brüssel gegen EU-Asylpolitik: Das Mittelmeer ist „ein Tatort“

Geflüchtete und NGOs protestieren in Brüssel gegen die EU. Während sich die Regierungschefs treffen, werden Notruf-Mails bis Samstag vorgelesen.

Orangefarbene Rettungsweste

Die Rettungsweste eines Geflüchteten im italienischen Roccella Ionica, Kalabrien, am 16.11.2022 Foto: Valeria Ferraro/ZUMA Wire/imago

Berlin taz | Angesichts der jüngsten Unglücke mit Hunderten Toten und den geplanten Asylrechtsverschärfungen klingt der Tagesordnungspunkt beim EU-Gipfel „Migration im Einklang mit den Grundsätzen, Werten und Grundrechten der EU“ für viele Flüchtlinge und Hilfsorganisationen wie Hohn. Seit Mittwochvormittag protestieren sie deshalb mit einer Aktionswoche vor den EU-Institutionen in Brüssel. Am Donnerstag und Freitag kommen die 27 Staats- und Regierungschefs in der belgischen Hauptstadt zusammen.

Den Auftakt der Protesten machte eine am Mittwoch gestartete Performance der Initiative Alarm-Phone. Der Titel: „We kindly request You to stop Killing“ („Wir bitten höflichst darum, mit dem Töten aufzuhören“). Die Initiative betreibt eine Notrufnummer für Flüchtlinge, die auf See in Not geraten.

Sprecherin der NGO Alarm-Phone

„Viele unserer Notrufe bleiben unbeantwortet“

Auf einer Bühne vor dem Brüsseler Parlamentsgebäude stapelten 15 Ak­ti­vis­t:in­nen am Mittwoch Ausdrucke von rund 1.300 E-Mails, die sie seit Januar an staatliche Rettungsstellen geschickt hatten. Um 900 Seenotfälle, bei denen Menschen sich per Satellitentelefon an sie gewandt hatten, ging es dabei. Doch: „Viele unserer Notrufe bleiben unbeantwortet“, sagte eine Sprecherin des Alarm-Phones der taz.

Zuletzt hatten sich sowohl die Insassen des am 14. Juni südlich der griechischen Stadt Pylos gesunkenen Bootes mit über 700 Menschen, als auch die Insassen eines am 20. Juni vor den Kanarischen Inseln gesunkenen Bootes mit 61 Menschen an das Alarm-Phone gewandt. Erst zehn Stunden, nachdem die NGO die Koordinaten an die Rettungsstellen weitergegeben hatte, traf in diesem Fall Hilfe ein – zu spät. Hunderte solcher unterlassener Hilfeleistungen hat das Alarm-Phone seit 2014 dokumentiert.

Geflüchtete spricht am Donnerstag mit EU-Abgeordneten

48 Stunden lang nonstop wollen die Ak­ti­vis­t:in­nen nun in Brüssel ihre Notruf-Mails vorlesen. „Das Mittelmeer ist nicht nur ein Friedhof – auch ein Tatort“, sagte die Alarm-Phone-Vertreterin. Am Donnerstag dann spricht der aus dem Südsudan stammende Geflüchtete David Yambio auf Einladung der Linksfraktion im Parlamentsgebäude mit Abgeordneten.

Yambio vertritt die Gruppe Refugees in Libya. Dabei handelt es sich um mehrere Hundert Geflüchtete, die in libyschen Lagern interniert waren. Nach ihrer Freilassung hatten sie ab Oktober 2021 gegen ihre Misshandlungen mit einer Mahnwache vor der UNHCR-Zentrale in Tripolis protestiert. Im Januar 2022 hatte die libysche Regierung die Mahnwache mit Gewalt geräumt.

Rund 250 der Protestierenden wurden nach Angaben Yambios damals in das Arbeitslager Ain-zara nahe Tripolis gebracht, wo sie bis heute inhaftiert sind. Die EU und die UN müssten sich für ihre Freilassung einsetzen, fordert Yambio.

Für Samstag hat die Gruppe zu einer ­Demonstration in Brüssel aufgerufen. Ihr Protest richtet sich vor allem dagegen, dass die von der EU aufgebaute libysche Küstenwache seit 2016 über 100.000 Menschen auf dem Mittelmeer eingefangen und zur Internierung nach Libyen zurückgebracht hat. Yambio selbst wurde nach eigenen Angaben fünf Mal auf dem Meer eingefangen, bevor ihm im Juni 2022 die Flucht nach Italien gelang.

In diesem Jahr betraf dies nach UN-Angaben bis zum 1. Juni rund 7.400 Menschen. Auch deshalb hatte sich der Schwerpunkt des Transitgeschehens zuletzt nach Tunesien verlagert.

In Brüssel als Hauptstadt der EU seien „die wichtigsten Institutionen, die für das endlose Leid und den Tod an den Grenzen Europas, aber auch für die unmenschlichen Bedingungen für Flüchtlinge und Migranten in Libyen, Tunesien und Niger verantwortlich sind“, heißt es im Demo-Aufruf. Man wolle diese mit „den Stimmen und Forderungen der Flüchtlinge konfrontieren, die ihre unmenschliche Politik der Grenzabschottung überlebt haben oder noch erleben“.

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