Proteste in Ägypten: Gewaltwelle fordert bisher 41 Tote
Auch für Freitag ruft die Opposition zum Protest auf dem Tahrir- Platz auf. Von Rücktrittsforderungen lässt sich der Militärrat weiter nicht beeindrucken und ernennt Kamal al Gansuri zum Premier.
KAIRO afp | Der ägyptische Militärrat lehnt den von der Protestbewegung geforderten Rücktritt weiterhin ab. Stattdessen beauftragte der Rat Medienberichten zufolge am Donnerstagabend den ehemaligen Ministerpräsidenten Kamal el Gansuri mit der Bildung einer neuen Übergangsregierung. Die Gegner des Militärrats zeigten sich davon wenig beeindruckt und riefen für Freitag erneut zu einer großen Protestkundgebung auf dem zentralen Tahrir-Platz in Kairo auf.
Mehrere private Fernsehsender berichteten, der Oberste Militärrat habe Gansuri mit der Regierungsbildung betraut. Wegen der jüngsten Proteste gegen den mächtigen Militärrat war vor wenigen Tagen die Übergangsregierung von Ministerpräsident Essam Scharaf zurückgetreten.
Der 78-jährige Wirtschaftswissenschaftler Gansuri war unter dem langjährigen Machthaber Husni Mubarak von 1996 bis 1999 Ministerpräsident. Mubarak war im Februar unter dem Druck der Massenproteste gegen ihn zurückgetreten. Seither führt der Militärrat das Land.
Bei der jüngsten Gewaltwelle zwischen Sicherheitskräften des Militärrats und Demonstranten wurden mindestens 41 Menschen getötet. Wie das Gesundheitsministerium mitteilte, starben allein in der Hauptstadt Kairo 36 Menschen. Vier Todesopfer wurden aus Ismailija und der zweitgrößten Stadt Alexandria gemeldet. In der nordwestlichen Stadt Mersa Matruh wurde am Mittwoch ein Demonstrant erschossen, als eine aufgebrachte Menge versuchte, eine Polizeiwache zu stürmen. Die Zahl der Verletzten wurde mit etwa 2000 angegeben.
US-ägyptische Publizistin misshandelt
Die vor einer Woche neu aufgeflammten Massenproteste richten sich gegen den Obersten Militärrat. Die Demonstranten fordern insbesondere, dass Militärratschef Hussein Tantawi zurücktritt und eine zivile Regierung die Amtgeschäfte übernimmt. Die Parlamentswahl soll unterdessen wie vorgesehen ab Montag stattfinden. Sie soll sich über mehrere Monate hinziehen.
Die US-ägyptische Publizistin Mona el Tahawi wurde nach eigenen Angaben während der jüngsten Proteste in Kairo von der Polizei festgenommen, geschlagen und sexuell misshandelt. Erst dann sei sie wieder auf freien Fuß gesetzt worden, teilte sie über den Kurznachrichtendienst Twitter mit. Eine Journalistin des französischen Fernsehsenders France 3, Caroline Sinz, berichtete ebenfalls, geschlagen und sexuell angegriffen worden zu sein, als sie nahe des Tahrir-Platzes drehte.
Die ägyptische Justiz beschloss unterdessen, drei US-Studenten vorläufig auf freien Fuß zu setzen, denen eine Beteiligung an Gewalttaten im Zusammenhang mit den Protesten zur Last gelegt werden. Das US-Außenministerium zeigte sich erfreut über die "schnelle Behandlung dieses Falls durch die ägyptischen Behörden".
Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) bekräftigte, dass die Bundesregierung mit Ägyptens größter Islamistengruppe, der Muslimbruderschaft, im Gespräch ist. "Es ist kein Geheimnis, dass wir auf Arbeitsebene bereits mit einigen reden", sagte er der Financial Times Deutschland vom Freitag. Er habe "keine Berührungsängste", solange "rote Linien" beachtet würden, wie etwa Gewaltverzicht und das Bekenntnis zu Demokratie. Der Militärrat dürfe "den Status Quo nicht zementieren", fügte Westerwelle hinzu.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an