Proteste im Irak: Netzblockade gegen die Wut
Seit Dienstag gehen Tausende IrakerInnen auf die Straße. Die Regierung schlägt den Protest gewaltsam nieder – und sperrt das Netz.
Tausende Menschen in verschiedenen irakischen Provinzen waren seit Dienstag auf die Straße gegangen. Videos vom Freiheitsplatz in der Hauptstadt Bagdad zeigen ein Meer an Protestierenden, viele schwenken die Nationalflagge. Einige skandieren: „Das Volk will die Regierung stürzen“ – ein Slogan, der auch in den Protesten des Arabischen Frühlings 2011 in Ägypten, Jemen oder Syrien zu hören war.
Auslöser der jüngsten Proteste war die Nachricht, dass die Regierung General Abd al-Wahab al-Saadi entlassen habe. Al-Saadi war der Anführer der Antiterroreinheit der irakischen Armee und galt vielen in der Bevölkerung aufgrund seiner Rolle im Krieg gegen die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) als Held. Außerdem hatte er innerhalb seiner Einheit der Korruption den Kampf angesagt. Gründe für seine Entlassung nannte die Regierung zunächst nicht.
Beobachter spekulieren jedoch, dass sich die sogenannte Volksmobilisierung (Haschd al-Schaabi) für seinen Abgang starkgemacht hat. Die Volksmobilisierung ist eine Dachorganisation vor allem schiitischer Milizen im Irak, von denen viele dem Iran nahestehen.
„Ich will ein Heimatland, das mich respektiert“
Überraschend kommen die Proteste nicht. Nach den letzten großen Demonstrationen im Sommer 2018 vor allem in Basra war es nur eine Frage der Zeit, bis die nächste Protestwelle ausbrechen würde. Die Wut über die schlechte Stromversorgung, die hohe Arbeitslosigkeit und die grassierende Korruption ist im Irak auch in ruhigen Zeiten greifbar. Seit dem Ende des Krieges gegen den IS ist die Enttäuschung über die unverschämt korrupten Politiker noch größer. In einem Video ruft ein Demonstrant: „Ich will keinen Strom, ich will ein Heimatland, das mich respektiert!“
Der Nationale Sicherheitsrat betonte am Mittwoch nach einer eilig einberufenen Sitzung, er bekräftige „das Recht auf Protest, freie Meinungsäußerung und die legitimen Forderungen der Demonstranten“. Gleichzeitig jedoch verurteilte er den Vandalismus, der die Proteste begleite. Der irakische Ministerpräsident Adel Abd al-Mahdi versprach, Jobs zu schaffen für arbeitslose Hochschulabgänger, und forderte das Ölministerium auf, eine Fünfzig-Prozent-Quote für lokale Arbeiter bei internationalen Firmen zu implementieren.
Ob das die Wut der Demonstranten besänftigt, ist allerdings fraglich. Trotz der Äußerungen des Nationalen Sicherheitsrats schlugen die Sicherheitskräfte die Proteste gewaltsam nieder – zunächst mit Tränengas, dann aber auch mit scharfer Munition, als sich der Protestzug am Dienstag Richtung Grüner Zone im Zentrum Bagdads bewegte, wo Regierungsgebäude und Botschaften liegen.
19 Menschen kamen bei den Protesten ums Leben, mehr als 1.000 wurden verletzt, wie die Hohe Menschenrechtskommission am Donnerstag mitteilte. Unter den Toten waren demnach 18 Zivilisten sowie ein Mitglied der Sicherheitskräfte. Seit Donnerstagmorgen herrscht nun in Bagdad eine Ausgangssperre. Zu vereinzelten Zusammenstößen mit mehreren Toten kam es dennoch. Von der Sperre ausgenommen sind Reisen zum Flughafen, die Ambulanz, Angestellte beim Strom- und Wasserministerium und Pilger.
Gespalten zwischen USA und Iran
Die brutale Antwort der Sicherheitskräfte, die offenbar den Versuch darstellt, weitere Demonstrationen zu unterbinden, könnte zu einer Radikalisierung und zunehmender Gewalt seitens der Protestierenden führen – vor allem, weil es der Regierung bisher nicht gelungen ist, den Forderungen mit wirklichen Reformen zu begegnen.
Für die Regierung kommen die Proteste zu einem heiklen Zeitpunkt. Der Irak steht zwischen den beiden Großmächten USA und Iran, die beide versuchen, das Land auf ihre Seite zu ziehen. Bereits die Vorgängerregierung Abd al-Mahdis versuchte, eine Vermittlerrolle zwischen den beiden Ländern einzunehmen. Dies ist mit der zunehmenden Spannung seit der Aufkündigung des Atom-Abkommens mit dem Iran durch die USA im vergangenen Jahr zunehmend schwierig geworden – aber auch, weil Abd al-Mahdi innenpolitisch kaum Rückhalt hat. Die aktuellen Proteste untergraben die ohnehin schwache Position Abd al-Mahdis weiter.
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