piwik no script img

Proteste gegen PreiserhöhungenBrennende Barrikaden in Algier

Größte Sozialproteste in Algerien seit über 20 Jahren. In Algier kam es zu Ausschreitungen. Die Regierung will nun den Mobilfunk blockieren, um die Protestler zu behindern.

Nach gewaltsamen Protesten inspizieren Feuerwehrleute einen ausgebrannten Bus in Algier. Bild: dpa

MADRID taz | Algerien erlebt dieser Tage eine soziale Revolte, wie sie das Land seit 1988 nicht gesehen hat. Seit Tagen gehen in den meisten Städten des Landes junge Menschen auf die Straße und demonstrieren gegen die Preiserhöhung für Grundnahrungsmittel. Seit Jahresbeginn sind Lebensmittel um bis zu 50 Prozent teurer geworden.

Den Höhepunkt der Proteste erlebte die Hauptstadt Algier am Donnerstag. In den Vororten und den Armenvierteln errichteten junge Demonstranten Barrikaden. Einzelne Gruppen zogen, teils mit Stangen und Säbeln bewaffnet in die reiche Oberstadt und räumten Luxusboutiquen leer. Ein Restaurant wurde überfallen. Die Polizei reagierte mit Einsatz von Wasserwerfern und Tränengas. Gegen Abend zogen überall in der Stadt Polizeieinheiten mit Schusswaffen auf.

Auch in anderen großen Städten des Landes wie Oran oder Constantine kam es zu heftigen Auseinandersetzungen. In der Berberregion Kabylei, östlich von Algier, unterbrachen Jugendliche den Fernverkehr mit brennenden Barrikaden. Das Gerichtsgebäude in der Stadt Akbou ging in Flammen auf. In Algier herrschte gestern Nachmittag gespannte Ruhe. Einkaufszentren sowie internationale Hotels standen unter Polizeischutz. Die Universitäten wurden geschlossen, die Moscheen waren von Polizei umstellt.

Die Behörden befürchteten, dass die Proteste nach dem Freitagsgebet erneut aufflammen könnten. Sie forderten die Telefonprovider auf, SMS und Handygespräche einzuschränken, um Mobilisierungen zu verhindern. Außerdem erwägt die Regierung nach Angaben oppositioneller Webseiten, den Zugang zum Netz zu kappen, um die Nutzung von Facebook und Twitter zu verhindern. Das Sportministerium setzte alle Fußballspiele am Wochenende aus.

Der Preisanstieg ist, so die algerische Presse, auf neue Normen für Groß- und Einzelhandel zurückzuführen. Einzelhändler müssen demnach für den Einkauf bei Großhändlern seit Jahresbeginn unzählige Dokumente vorweisen, die viele von ihnen nicht besitzen, da ihre Geschäfte nicht ordentlich angemeldet sind.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

2 Kommentare

 / 
  • T
    Tobias

    Sollte es endlich auch in Deutschland geben, das Volk muss sich endlich erheben, Autofahrer haben hier genug, die müssten einfach mal alles blockieren um eine Preissenkung der Benzinpreise zu erzwingen! diese Gängelung darf man sich nicht gefallen lassen!

  • VL
    Vergessene Länder

    Algerien ist eines der Länder, das international kaum Beachtung erhält, außer es geht um angebliche Terroristen, die sich in der Wüste verstecken oder um Erdgas. Gerne dabei vergessen wird, dass die ach so demokratische Regierung mafiöse Strukturen aufweist, und Korruption den Alltag beherrscht. Das einfache Volk hat keine Möglichkeit, seine Meinung zu sagen(das Fernsehen quillt über vor Lobeshymnen auf die gierigen Politiker), oder irgend etwas an seinen Lebensumständen zu ändern. Nur wer Bakschisch oder Beziehungen hat, kann überhaupt etwas erreichen. Die Preissteigerungen sind nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Es gibt kaum Wohnungen, Familien von mehr als 10 Leuten müssen teilweise in 3-4 Zimmern leben, die hygienischen Verhältnisse sind katastrophal, und das sind keine Ausnahmen, sondern die Regel. Bestimmte Nahrungsmittel wie Fleisch waren schon immer sehr teuer, und nicht alle konnten sich das leisten, aber wenn jetzt die Preise so anziehen, obwohl die Löhne das nicht tun(wer überhaupt einen Lohn hat), dann müsste das jeden verwundern. Algerien ist unglaublich reich. An Erdgas, Bodenschätzen. "Komischerweise" verschwinden jährlich dutzende MILLIARDEN in den Taschen der Militärs und Politiker, die Reichen werden noch reicher. Dass sich die Jugend jetzt traut, sich dagegen aufzulehnen verwundert, da die Regierung dafür bekannt ist, brutal vorzugehen, und auch schon mal Menschen "verschwinden". Daran hat sich seit 20 Jahren nichts geändert, und die Kommentare der Regierung, Mobilfunk und Internet einzuschränken, zeigt, dass Algerien kein demokratisches Land ist(sowieso lachhaft in der arabischen Welt), und Wahlen eine Farce. Perspektivlosigkeit und immer weiter führende Verteuerungen oder Verschlechterungen könnten dazu führen, dass die Lage explodiert, und dann wird die Welt- wie immer- dabei zusehen, und außer ein wenig geheucheltem Interesse trotzdem weiter mit dem Regime zusammen arbeiten.