Proteste der „Empörten“ in Spanien: „Wir kommen wieder“
Gegen den Sparkurs der spanischen Regierung sind die „Empörten“ wieder auf die Straße gegangen. Die Polizei räumte teilweise die Plätze. Doch die Bewegung macht weiter.
MADRID taz | Es war ein bewegender Moment, als die Turmuhr auf Madrids zentralem Platz, der Puerta del Sol, Mitternacht schlug. Zehntausende von Menschen erhoben schweigend ihre Arme. „Stummer Schrei“ nennen die „Empörten“ dieses Ritual, seit sie vor einem Jahr, am 15. Mai 2011 erstmals auf den Platz zogen. Am Samstag mobilisierte die Bewegung 15M – so benannt nach dem Tag, als alles anging – erneut. In Madrid waren es laut Veranstaltern mehrere Hunderttausend, in Barcelona 350.000. In rund 80 weiteren spanischen Städten kamen ebenfalls Tausende zusammen. Das Innenministerium sprach von lediglich zehntausenden Demonstranten in Barcelona und Madrid und soll wohl nur belegen, dass Ruhe im Land herrscht. Weltweit schlossen sich 50 Länder den Protesten gegen fehlende demokratische Kontrolle der Politik und gegen die unsoziale Krisenpolitik an.
In Portugal protestierten sie in allen großen Städten. In Griechenland fand eine Kundgebung im Zentrum Athens statt. In den USA und in Israel machte die dortige „Occupy-Bewegung“ ebenfalls mobil. In London rief die Bewegung zur St. Paul's Cathedral, wo Occupy bis Februar ihr Zeltlager aufgeschlagen hatte. Nach der Kundgebung zogen mehrere Hundert Menschen vor die Bank of England und errichteten Zelte. 11 Teilnehmer wurden verhaftet.
„Die Bewegung hat eine großem Dynamik entwickelt und ein Netzwerk auf internationaler Ebene entstehen lassen“, sagt Jon Aguirre in Madrid sichtlich beeindruckt. Der 27-Jährige gehörte zu der kleinen Gruppe derer, die vor einem Jahr unter dem Motto „Echte Demokratie jetzt!“ die Spanier per Facebook und Twitter erstmals auf die Straße brachte. „Ich hätte nie gedacht, dass wir ein Jahr später noch immer hier sind. Mit mehr Unterstützung und mehr Zustimmung denn je“, sagt Aguirre. Vor einem Jahr ging er hinter dem Auftakttransparent in Madrid. Am Jahrestag war er nur noch einer unter vielen, der horizontal vernetzten Bewegung.
In Protestzügen aus allen vier Himmelsrichtungen waren die Menschen aus den umliegenden Gemeinden und Stadtteilen ins Madrider Zentrum marschiert. Die Bewegung, die anfänglich meist junge Menschen begeisterte, hat längst alle Altersgruppen erreicht. Auf der Puerta del Sol angekommen herrschte Feststimmung. Sambagruppen, Videoprojektionen, Pantomime und Clowns – die Teilnehmer ließen ihrer Fantasie freien Lauf. „Wir haben keine Angst“ riefen sie immer wieder angesichts der rund 2.000 Polizeibeamte, die in Kampfmontur in der Stadt aufmarschiert waren. Ein Polizeihubschrauber überflog die Innenstadt ununterbrochen.
50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit
Vier Tage – bis zum 15. Mai - werden die Proteste überall in Spanien dauern. Auf der Puerta del Sol, die im vergangenen Jahr vier Wochen lang ein Protestcamp beherbergte, und auf umliegenden Plätzen werden Versammlungen organisiert in denen unter anderem über Themen wie Politikreform, Sozialpolitik, Bildungs- und Gesundheitswesen diskutiert wird.
Der Hintergrund ist der harte Sparkurs der konservativen Regierung, die alleine in diesem Jahr 37 Milliarden Euro streichen wird, während die Banken mit Milliardenbeträgen unterstützt werden. 24,4 Prozent der Spanier sind ohne Arbeit. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt gar bei 50 Prozent.
„Sie repräsentieren uns nicht!“ lautete am Ende der mitternächtlichen Schweigeminute einmal mehr der Ruf der Menge. Eigentlich hätten sie gar nicht mehr auf der Puerta del Sol sein sollen. Das Innenministerium lehnte den Antrag auf eine viertägige, permanente Versammlung ab und genehmigte die Proteste nur bis 22 Uhr. Doch die Empörten setzten sich überall in Spanien über das Verbot hinweg. Die Polizei griff erst um fünf Uhr in der Früh ein und zerrte die passiven Widerstand leistenden letzten Anwendenden in Madrid vom Platz. Mindestens 18 Menschen wurden verhaftet. Fast zeitgleich wurden auch in anderen Städten die Plätze geräumt. „Wir kommen wieder“ lautet eine Nachricht auf Twitter, die sich in Windeseile verbreitete.
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