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Proteste auf KubaSeltene Revolte geht weiter

Tausende Menschen sind in Kuba am zweiten Tag auf die Straße gegangen, mehr als Hundert wurden festgenommen. Das Internet ist zum Teil blockiert.

Erstmals sind im ganzen Land Tausende Menschen auf die Straße gegangen Foto: Eliana Aponte/dpa

Hamburg taz | Der Protestaufruf kursierte auf Whatsapp unter dem Hashtag SOS Cuba – und ihm wurde inselweit Folge geleistet: Mehrere Tausend Ku­ba­ne­r:in­nen sind am Sonntag und Montag zwischen Havanna und Santiago de Cuba auf die Straße gegangen. Parolen wie „Wir haben keine Angst“, „Vaterland und Leben“ und „Freiheit“ sind auf Dutzenden von Videos zu hören, die nun in den sozialen Medien kursieren. Über hundert Menschen wurden am Montag festgenommen, es herrscht eine hohe Präsenz von Sicherheitskräften.

Eines der Gesichter des seltenen Protests ist der Künstler Luis Manuel Otero Alcántara von der Künstlerbewegung Movimiento San Isidro. Doch anders als in 2020 ist es nicht die junge, kritische Künstlerbewegung, die jetzt demonstriert; es sind Tausende, die gegen Stromabschaltungen, gegen die zusammenbrechende Gesundheitsversorgung angesichts von stetig steigenden Corona-Infektionszahlen und gegen die latente Lebensmittelknappheit auf die Straße gehen.

Das ist etwas vollkommen Neues in Kuba, wo soziale Proteste selbst zu Beginn der 1990er Jahre die Ausnahme blieben, als die Insel eine schwere Wirtschaftskrise durchmachte. Nie ist es in den letzten Jahrzehnten zu inselweiten Protesten gekommen wie am Sonntag, als in Cárdenas Hunderte, in Havanna und Santiago de Cuba Tausende auf die Straße gingen. Berichten zufolge kam es in fünfzehn Städten und in zahlreichen Ortschaften zu Protesten.

Handyvideos zeigen, wie Polizei und schwarz gekleidete Spezialeinheiten des Innenministeriums Demonstrierende festnehmen. Es gibt auch Videos aus Camagüey im Zentrum der Insel, die den Einsatz von Schusswaffen durch die Polizei zeigen sollen. Von zwei Verletzten berichtet die regierungskritische Zeitung 14ymedio der international bekannten Bloggerin Yoani Sánchez.

Auffällig ist, dass schwarz lackierte Jeeps und moderne Mannschaftsbusse der schwer bewaffneten Spezialeinheiten nicht nur bei der Visite von Präsident Miguel Díaz Canel am Sonntag in San Antonio de los Baños, einem Ausgangspunkt der Proteste rund dreißig Kilometer von Havanna entfernt, zugegen waren, sondern auch in Havanna. Dort konzentrierten sich die Proteste an der Uferpromenade, dem Malecón, sowie rund um das Capitolio, dem Sitz des Parlaments.

Warnung vor Bürgerkrieg

Auf die Proteste reagierte Canel schnell: In einer Rede an die Bevölkerung machte er einmal mehr die USA für die Proteste verantwortlich und appellierte an die Bevölkerung: „Wir werden nicht erleben, dass auch nur ein Konterrevolutionär, der sich an die USA verkauft hat, der Geld von ihnen erhält, unser Land destabilisiert. Wir rufen alle Revolutionäre, alle Kommunisten dazu auf – geht auf die Straße, geht dorthin, wo sich diese Provokationen abspielen. Heute und in den nächsten Tagen.“

Der Aufruf birge das Risiko, dass Protestierende und revolutionstreue Einsatzbrigaden aufeinandertreffen und es zu handfesten Auseinandersetzungen kommt, sagt Joani Sánchez. Sie warnte vor einem Bürgerkrieg.

Zudem scheint die Regierung die Internetverbindungen teilweise gekappt zu haben, so Tania Bruguera von der Künstlergruppe 27N, deren Telefonnummer in den letzten Monaten immer mal wieder blockiert war. Das sei auch derzeit der Fall, war auf ihrem Facebook-Account zu lesen. Die zumindest partiell verhängte Kommunikationssperre führt dazu, dass auch unabhängige Medien es schwer haben, ihre Berichte ins Internet zu stellen.

In der nahegelegenen US-Stadt Miami kursieren bereits Aufrufe an die US-Regierung einzuschreiten. Die hat die kubanische Regierung aufgefordert, das gewaltsame Vorgehen gegen Demonstranten einzustellen und festgenommene Ak­ti­vis­t:in­nen freizulassen.

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2 Kommentare

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  • In Nicaragua, Kolumbien und jetzt in Cuba zeigen die sozialen Proteste, dass die Menschen keine andere Wahl haben, als zu protestieren gegen Repression und Verelendung. Rechte und "linke" Diktaturen in Lateinamerika diffamieren sie wahlweise als "Kommunisten" (Kolumbien) oder "Agenten des Imperialismus " (Nicaragua, Cuba) und folgen damit der gleichen kolonialen Einordnung, dass nämlich Proteste nur von aussen gesteuert sein können und nicht auf internen Widersprüchen beruhen. Die internationale Linke muss sich klar von dieser Darstellung distanzieren, will sie als politischer Akteur ernst genommen werden.



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